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SITZUNGSBERICHTE

DER

- KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHE (LASSE.

HUNDERTVIERTER BAND.

WIEN, 1895. AUS DER KAISERLICH- KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREI.

IN COMMISSION BEI CARL GEROLD’S SOHN,

BUCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

© SIMZUNGSBERICHTE.

DER

THEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHEN CLASSE

DER KAISERLICHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

CIV. BAND. ABTHEILUNG I. &

JAHRCANG 18095. Hevm I Bıs X.

(MIT 34 TAFELN, 1 KARTENSKIZZE UND 23 TEXTFIGUREN.)

I ———

" WIEN, 1895. IR KAISERLICH - KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREI.

COMMISSION BEI CARL GEROLD’S SOHN,

_ BUCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Ba

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SONY uhr

I. Sitzung vom 10. II. Sitzung vom 17. III. Sitzung vom 24. . Februar 1895: . Februar 1895: . Februar 1895:

IV. Sitzung vom V. Sitzung vom | VI. Sitzung vom

VII. Sitzung vom

1 IX. Sitzung vom 21.

X. Sitzung vom XI. Sitzung vom

25 XI. Sitzung vom 9. 6. Mai 1895: Übersicht

XIII. Sitzung vom XIV. Sitzung vom

XVI. Sitzung vom

XXV. Sitzung vom 9. XXVlI. Sitzung vom 12, XXVI. Sitzung vom 19.

Attems C., Graf, Die Myriopoden Steiermarks. (Mit 7 Tafeln.) [Preis:

7 4 21 VI. Sitzung vom 7. 4 1 4

1 24. XV. Sitzung vom 14. 20. XVIl. Sitzung vom 4. XVII. Sitzung vom 11. XIX. Sitzung vom 10. XX. Sitzung vom 17. XXI. Sitzung vom 24. XXI. Sitzung vom 7. XXIH. Sitzung vom 14. XXIV. Sitzung vom 21.

IINDEDSUME:

Jänner 1895: Jänner 1895: Jänner 1895:

Übersicht .

Übersicht .

Übersicht Übersicht Übersicht Übersicht

März 1895: Übersicht .

. März 1895: Übersicht .

April 1895: Übersicht.

. April 1895: Übersicht . . April 1895: Übersicht .

Mai 1895: Übersicht

Mai 1895: Übersicht Juni 1895: Übersicht . Juni 1895: Übersicht Juli 1895: Übersicht Juli 1895: Übersicht

Octeber 1895: October 1895: October 1895:

Übersicht Übersicht Übersicht

November 1895: Übersicht November 1895: Übersicht November 1895: Übersicht

December 1895: Übersicht . December 1895: Übersicht . December 1895: Übersicht .

2 fl. 10 kr. —4 Mk. 20 Pfg.] .

Bittner A., Über zwei ungenügend bekannte brachyure Eileen des Vicentinischen Eoeäns. (Mit I Tafel.) [Preis: 25 kr.

50 Pfg.]

Seite

117

247

Brauer F., Bemerkungen zu einigen neuen Gattungen der Muscarien und Deutung einiger Original-Exemplare. (Mit 1 Tafel.) [Preis: 40 kr. = 80 Pfg.] ee N Re :

Burgerstein A., Vergleichend - histologische Untersuchungen 2 Holzes der Pomaceen. [Preis: 60 kr. 1 Mk. 20 Pfg.]

Czapek F., Über Zusammenwirken von Heliotropismus und Geo- tropismus. |Preis: 35 kr. —= 70 Pfg.] . BL ©

Über die Richtungsursachen der Seitenwurzeln a einiger anderer plagiotroper Pflanzentheile. [Preis: 55 kr. 1 Mk. 10 Pfeg.| BE DE EHE ea EA

Deperet Ch., Über die Fauna von miocänen Wirpeiltiered aus der ersten Mediterranstufe von Eggenburg. (Mit 2 Tafeln.) [Preis: 45 kr. 90 Pfg.] ; ee

Diener C., Mittheilungen über triadische Ciphalspodenfanhen von der Ussuri-Bucht und der Insel Russkij in der ostsibirischen Küstenprovinz. [Preis: 10 kr. = 20 Pfg.] . Se

Fritsch K', Über einige Orobus-Arten und ihre beouraphieche Verbreitung. Series I. Zutei. Ein Beitrag zur Systematik der Vicieen. (Mit 1 Kartenskizze.) [Preis: 50 kr. I Mk.].

Fuchs Th., Studien über Hieroglyphen und Fucoiden. [Preis: 10 kr. 20: BIS Ina ee ee,

Haberlandi G., Anatomisch-physiologische Uns über.

das tropische Laubblatt. II. Über wassersecernirende und -absorbirende Organe. (II. Abhandlung.) (Mit 4 Tafeln.) [Preis: I fl. kr.—2 Mk. Pfg.] - : Handlirsch A., Nachträge und Schlusswort zur Monographie der mit Nysson und Bembex verwandten Grabwespen. (Mit 2 Tafeln) [Preis: 2 fl. 30 kr. 4 Mk. 60 Pfg.] . nr Heberdey P. Ph., Künstliche Antimonit- und Wismuthkrystalle aus der k.k. Hütte in Pribram. (Mit 8 Textfiguren.) [Preis: 25 kr. —o Ehren] le eh Hlawatsch C, Über eine neue Kurtae Anlinon Verbindung aus der k.k. Hütte zu Brixlegg. (Mit 1 Tafel und 12 Textfiguren.) MBreis: Aorkt. Y0rPfgM. 2 Höhnel F., v., Beitrag zur Kenntniss der ahmöestlore des Hoch- gebirgstheiles der Sierra Nevada in Spanien. [Preis: 35 kr. 70 Pfg.]. EN OEL AS Lt b Mojsisovics E. v., Waagen W. und Diener G, Entwurf einer Gliede- rung der pelagischen Sedimente des Trias-Systems. [Preis: 40 kr. 80 Pfs.] i 5 Molisch H., Die Ernährung der Alten een L. I handlung.) (Mit 2 Textfiguren.) [Preis: 25 kr. = 50 Pfe.] . Rompel J., Krystalle von Calciumoxalat in der Fruchtwand der Umbelliferen und ihre Verwerthung für die Systematik. (Mit 2 Tafeln.) |Preis: 90 kr. = 1 Mk. 80 Pfg.]

Seite

er

268

[11 OL

801

254

297

417

VI Seite Siebenrock F., Das Skelet der Agamidae. (Mit 6 Tafeln.) [Preis: N fi, 70 Sn = SON AN ee eo na. ME) Steiner J., Ein Beitrag zur Flechtenfliora der Sahara ‚(Reis 15 kr. SORT er Meere . 383 Sioklasa J., Die Assimilation des een durch die cas (Mit ı Tara) Fest: Oil A are eo Suess B., Einige Bemerkungen über den Mond. [Preis: 35 kr. BO) IN None Nee ee N SUSE a SZ RA Wiesner J., Untersuchungen über den Lichtgenuss der Pflanzen mit Rücksicht auf die Vegetation von Wien, Cairo und Buitenzorg (Java). (Photometrische Untersuchungen auf pflanzenphysiologischem Gebiete.) (II. Abhandlung.) (Mit 4 Curventafeln.) |Preis: 1 fl. 20 kr. —2 Mk. 40 Pfe.). . . 605 Beiträge zur Kenntniss des tropischen Regens. (Mit 1 Text- Neum)alEzeis: A0nkE —80rbte.]| mr 2.0 ANGE . 1897

Zukal H., Morphologische und biologische onen über

die Flechten. (I. Abhandlung.) (Mit 3 Tafeln.) [Preis: 1 fl. On? 23 MR 20rBten N. i RR NUN 1020

Morphologische und biologische Untersuchungen über die Flechten. (II. Abhandlung.) [Preis: 80 kr. = 1 Mk. 60 Pfg.) 1303

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SIBAUNGSBERICILTE

=; | DER

KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

MATHEMATISCH - NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.

CNVZBANDSISEIELAE

ABTHEILUNG 1.

ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, _ _ KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, _ _ _ PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.

5 ou

I. SITZUNG VOM 10. JÄNNER 1895.

Das w. M. Herr” Oberbergrath E. Mojsisovies Edler v. Mojsvar überreicht als Mitglied des internationalen Comite für die geologische Karte von Europa im Auftrage des k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht die erschienene I. Lieferung eines für die kaiserl. Akademie bestimmten Frei- exemplares dieser Karte. (Massstab 1: 1,500.000.)

Der Ausschuss der Gesellschaft zur Förderung der naturhistorischen Erforschung des Orients in Wien übermittelt den Aufruf, die Statuten und das Arbeitsprogramm dieser Gesellschaft.

Das Curatorium der Schwestern Fröhlich-Stiftung in Wien übermittelt die diesjährige Kundmachung über die Ver- leihung von Stipendien aus dieser Stiftung zur Unterstützung bedürftiger und hervorragender schaflender Talente auf dem Gebiete der Kunst, Literatur und Wissenschaft.

Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mach übersendet eine im physikalischen Institute der k. k. deutschen Universität in Prag ausgeführte Arbeit von Prof. Dr. G. Jaumann, betitelt: »Inconstanz des Funkenpotentials«.

Das c.M. Herr Hofrath Prof. L. Boltzmann in Wien über- sendet mit Bezug auf seine in der- Sitzung vom 13. December v.J. gemachte vorläufige Mittheilung die von ihm und Herrn G.H. Bryan ausgeführte Arbeit: »Über eine mechanische Analogie des Wärmesgleichgewichtes zweier sich berührender Körper«.

Herr Prof. Dr. G. Haberlandt in Graz übersendet: »Ana- tomisch-physiologische Untersuchungen über das

1

4

tropische Laubblatt; II. Über wassersecernirende und -absorbirende Organe« (Il. Abhandlung).

Die Herren Dr. J.ElsterundH. Geitel, beide Oberiehrer am herzogl. Gymnasium in Wolfenbüttel, übersenden eine weitere gemeinschaftliche Arbeit, betitelt: »Elektrische Beobach- tungen auf dem Sonnblick« (Nachtrag).

Herr Prof. Rudolf Andreasch an der k. k. Staatsoberreal- schule in Währing (Wien) übersendet eine Abhandlung: »Über Dimethylviolursäure und Dimethyldilitursäure«.

Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen vor:

1. »Über einen einfachen Apparat zur Elektrolyse unter dem Mikroskope auch bei geringem Focal- abstande der benützten Objecte, welcher sich auch zu elektro-physiologischen Versuchen mit Infusorien und Bacterien eignet«, von Dr. Wilhelm Kaiser, k.k. Polizei- Commissär in Floridsdorf.

2. »Ein Blick in das geheime Weben der Natur. (Eine

naturwissenschaftliche Abhandlung, enthaltend die Grund- züge einer neuen Chemie)«, von Herrn Adolf Kratschmer, Schulleiter in Gr. Radischen (N.-Ö.). »Über den zwischen den Abplattungen von Rota- tionsellipsoiden überhaupt und den zwischen den Ab- plattungen der Planeten Erde, Jupiter und Saturn insbe- sondere wahrscheinlich bestehenden Zusammen- hang«, von Herrn Franz Trenkna, k. k. Steuer-Inspector in Wien.

8%

Ferner legt der Secretär ein von dem vorgenannten Herrn F. Trenkna behufs Wahrung der Priorität eingesendetes versiegeltes Schreiben vor, welches die Aufschrift führt: Über den zwischen den Excentricitäten der Bahnen der acht Haupt- planeten und den Excentricitäten der Erd- und Mondbahn wahr- . scheinlich bestehenden inneren Zusammenhang«.

Das w. M. Herr k.u.k. Intendant Hofrath F. Ritter v. Hauer überreicht eine Abhandlung des c. M. Herrn Director Th. Fuchs

-

18)

in Wien, betitelt: »Studien über Fucoiden und Sog. Hiero- slyphen«.

Das w. M. Herr k. und k. Hofrath Director Dr. F. Stein- dachner überreicht eine Mittheilung von Dr. Rudolf Sturany in Wien: »Bestimmungsliste der von Herrn Dr. Konrad Natterer auf S.M. Schiff „Taurus* im Marmara-Meere gedredschten Mollusken«.

Dasıw. Me Here kloiratn Brot V. vw. Ebner überreicht eine vorläufige Mittheilung: »Über den feineren Bau der emosdardorsalis der Cyelostomen«:

Das w. M. Herr Hofrath Prof. Ad. Lieben überreicht eine in seinem Laboratorium ausgeführte Arbeit von Dr. Konrad Natterer: Tiefseeforschungen im Marmara-Meer auf S, UL Sellin SItembausz.

Kemmer überzeient Klier Rlottarh, Btor Ad Kreben eme in seinem Laboratorium ausgeführte Arbeit des Herrn Leon Doneiü: »Über die Einwirkung von Chlor auf das Äthylenglycol«.

Das w. M. Herr Prof. A. Schrauf überreicht eine im mineralogischen Museum der k. k. Universität von Herrn Dr. P. Philipp Heberdey ausgeführte Untersuchung: »Über künst- liche Antimonit- und Wismuthkrystalle aus der k. k. ee au Bribuam«:

Herr Prof. Dr. Ed. Lippmann überreicht eine von ihm und Beamer Bleissmer im Il. chem: Kaboratorıum der k. k Universität in Wien ausgeführte Arbeit: »Über das Apochinin und seine Äther«.

Schliesslich lest der Vorsitzende, Herr Prof E. Suess, erise ihm von Herten Prof. Dr. 'L. Weinek, Director der k.k. Sternwarte in Prag, zugekommenen Abbildungen seiner neuesten Mondarbeiten vor.

6

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Dubois E., Pithecanthropus erectus. Eine menschenähnliche Übergangsform aus Java. (Mit 2 Tafeln und 3 Textfiguren.) Batavia, 1894; 4°.

Helmholtz H. v., Handbuch der Physiologischen Optik. IX. Lieferung. Hamburg und Leipzig, 1894; 8°.

Internationale geologische Karte von Europa (Mass- stab 1:1,500.000), beschlossen durch den internationalen Geologen-Congress zu Bologna im Jahre 1881, ausgeführt nach den Beschlüssen einer internationalen Commission, mit Unterstützung der Regierungen, unter der Direction der Herren Beyrich und Haucheorne. I. Lieferung, ent- haltend die Blätter AI, All, BI, BI, CIV und DIV sammt Farbenschema. Berlin, 1894; Folio.

Statistischer Bericht über die volkswirthschaftlichen Zustände des Erzherzogthums Österreich unter der Enns im Jahre 1890. An das k. k. Handels-Mini- sterium erstattet von der Handels- und Gewerbekammer in Wien. I. Bd. Gewerbestatistik. Wien, 1894; 4°.

I

Studien über Hieroglyphen und Fucoiden

von

Th. Fuchs,! ec. M.k. Akad.

Wenn man Gyps, Cement oder eine andere breiartige Masse über eine Unterlage von weichem Thon oder Sand fliessen und sodann erstarren lässt, so findet man an der Unterseite des so entstandenen festen Kuchens mannigfach geformte Wülste, die eine ausserordentliche Ähnlichkeit mit jenen Wülsten zeigen, die man so häufig an der Unterfläche der Flyschbänke findet.

Die von Saporta unter dem Namen Laminarites und Panescorsaea beschriebenen Sculpturen gehören, wenigstens zum Theile, auch in diese Kategorie der »Fliesswülste«.

Die im braunen Jura so häufigen, unter dem Namen Gyro- chorda bekannten gegliederten Wülste (Zopfplatten) treten in der Regel nicht auf der unteren, sondern auf der oberen See den schichten auf. Es entspricht dies sanz den Beob- achtungen Nathorst’s, der die Bildung ähnlicher Fährten durch einen Isopoden (Corophium longicorne) beobachtete.

In den Steinbrüchen von Hadersdorf fand sich auf der Unterseite einer Sandsteinbank ein dicker, sehr regel- mässig baumförmig verzweigter Cylindrit, der einen voll- kommenen »Sandstein-Fucoiden« darstellte. An mehreren

I Auszug aus einer für die Denkschriften bestimmten Abhandlung.

8 Ali. BNENS-

Stellen kamen Durchkreuzungen zwischen den Ästen dieses Cylindriten vor.

Squinabol beobachtete, dass manche Schnecken, welche den mikroskopischen Algenüberzug des Bodens abweiden, bei dieser Gelegenheit tiefe, gewundene Furchen erzeugen, welche vollständig mit den Helminthoideen des Flysches überein- stimmen. Bei Limax agrestis erscheint diese Frass-Spur über- dies mit kleinen Zähnchen besetzt. Eine vollständig idente, mit genau solchen Zähnchen besetzte Frass-Spur bildet Emmons aus dem Taconic-System Nordamerikas unter dem Namen Nemapodia tennissima ab.

Zu den auffallendsten und prägnantesten Formen im Reiche der Hieroglyphen gehören die unter dem Namen Palaeodictyum bekannten bienenwabenförmigen Sculpturen. Enge verwandt mit diesem Palaeodictyum ist das sogenannte Palaeomaean- dron (Meneghini non Heer), sowie eine Reihe anderer Hiero- glyphen, welche Verfasser als »Graphoglypten« zusammen- fasst.

Es ist merkwürdig, dass die von Nachtschnecken erzeugten Laichbänder fast alle Formen dieser »Graphoglypten« wiederholen, und wird es dadurch wahrscheinlich, dass die- selben nichts als Laichbänder von Schnecken sind, die in der Form von »Halb-Reliefs« erhalten wurden.

Die von Nathorst und dem Verfasser bisher gegen die pflanzliche Natur der sogenannten Fucoiden geltend gemachten Argumente haben sich dem Verfasser auf seiner ganzen Studien- reise durch die Museen Norditaliens, der Schweiz und Süd- deutschlands als vollkommen stichhältig erwiesen.

Unter den zarten Fucoiden des Flysches finden sich bis- weilen Formen, bei denen die Zweige nicht continuirlich ver- laufen, sondern in Reihen isolirter Perlen aufgelöst erscheinen.

Squinabol hat gezeigt, dass diese Discontinuität nur eine scheinbare sei und dadurch hervorgebracht werde, dass die Zweige nicht gerade verlaufen, sondern eine Spirale beschreiben, ähnlich den Spiralfäden in den Trachaeen der Insecten.

Die Fucoiden des Lias und Jura sind meist vollkommen körperlich erhalten und bestehen sehr häufig aus Sandstein. Nicht selten findet man Chondriten zu Bändern oder strick-

Hieroglyphen und Fucoiden. 9

förmigen Körpern zusammengeflochten. Wenn Chondriten in die Nähe von Cylindriten kommen, schmiegen sie sich häufig an seine Oberfläche an und erzeugen so die von Saporta als »Syringodendron« beschriebenen Körper.

Butotrephis ramnulosus Miller aus dem Silur von Cin- einnati ist ein ausgeprägter Fucoid, der einen grauen Kalk- mergel nach allen Richtungen durchzieht und dessen Ober- fläche aus groben Sandkörnern und kleinen Muschelfragmenten zusammengesetzt ist, genau wie die Röhren von Terebella conchylega.

Die Gattung Phymatoderma hat mit den von Gryllotalpa und anderen Thieren aufgeworfenen schuppigen Wülsten nichts zu thun. Es waren dies ursprünglich verzweigte Gänge, die einen so regelmässigen und bestimmt ausgeprägten zelligen Bau besassen, dass derselbe nach Ansicht des Verfassers nut von einer bestimmten inneren Organisation herrühren kann. Verfasser spricht die Vermuthung aus, dass wir in diesen Vorkommnissen verzweigte Eiertaschen vor uns haben, die einzelnen Zellen aber Eierkapseln entsprechen.

In der Gruppe der spirophytenartigen Gebilde kommen nicht nur spirale, sondern auch quirlig gebaute Körper vor.

Die Spirophyten sind bisweilen auch in der Form von Steinkernen körperlich erhalten, woraus hervorgeht, dass die- selben ursprünglich spiral gebaute Höhlungen waren. Die sichelförmige Sculptur vieler Spirophyten gleicht ganz der Oberflächen -Sculptur von Daimonhelix und rührt daher wahrscheinlich ebenfalls vom Graben und Scharren der Aneres ner:

Wenn Cancellophycus in zartem Materiale gut erhalten ist, zeigt er bisweilen eine deutlich zellige Structur, welche ganz derjenigen von Phymatoderma gleicht und möglicherweise ebenfalls auf Eikapseln zurückzuführen ist. |

Die Lappen von Spirophyton zeigen häufig eine Rand- wulst.

Die spiral eingerollten Laichbänder mancher Doris-Arten gleichen äusserlich ganz einem Spirophyton.

Nach Lund erzeugen manche Prosobranchier Stöcke, welche aus einer centralen Axe bestehen, an welcher spiral-

10 Dr Kutehis,

gestellte flache, schuppenförmige Eierkapseln befestigt sind. Ein solcher spiral gebauter Eierkapselstock zeigt in seinem Grundbau eine grosse Analogie mit Spirophyton.

Die von Esper in seinen »Pflanzenthieren«, vol. III, Taf. XXII—XXV, unter den Namen Tubnlaria clavata, sphaeroidea und Zesselata abgebildeten Eierkapselstöcke von Prosobran- chiern erinnern lebhaft an die quirlig gebauten Formen aus der Gruppe der spirophytenartigen Körper.

Verfasser glaubt, dass diese Schneckenlaiche und Eier- kapselstöcke den Schlüssel zur Erklärung der Spirophyton- Bildungen enthalten.

So wie es Würmer gibt, welche selbständige, feste Röhren bauen und andere, welche sich begnügen Röhren im Boden grabend anzulegen, so mag es auch Schnecken geben, welche nicht im Stande sind, freie selbständige Kapselstöcke zu er- zeugen und sich begnügen müssen, ähnlich geformte Höhlen im Boden zu bilden.

Auch bei den Insecten (Bienen, Wespen, Ameisen) kommt es vor, dass gewisse Formen freie Nester bauen, andere solche in der Erde anlegen oder sich auch direct mit Höhlen "und Gängen begnügen.

Dieser Gedankengang führt zu dem Schlusse, dass die Spirophyten- und verwandten Bildungen Eiernester von Meeres- thieren, und zwar wahrscheinlich von Gasteropoden seien.

Ein grosser Theil des nordöstlichen Galizien wird aus Kreidemergel gebildet, welcher unmittelbar von marinen, mio- cänen Sanden bedeckt wird.

An der Basis dieser miocänen Sande findet man bei Lem- berg und an mehreren anderen Punkten die obersten Schichten der Kreide mitRhizocorallien! erfüllt, welche horizontal oder die Wölbung nach unten gekehrt im Kreidemergel stecken, selbst aber aus miocänem Sande bestehen. Es ist hiedurch erwiesen, dass diese Rhizocorallien hohle Taschen waren, welche zur Miocänzeit von Meeresthieren im anstehenden, festen Kreide- gestein gegraben und nachträglich von dem marinen Sande ausgefüllt wurden, genau so wie dies auf der schwäbischen

I Glossifungites saxicava Lomnicki.

Hieroglyphen und Fucoiden. 1a

Alp mit den Pholadenlöchern im Jurakalk an der Basis des Miocäns der Fall ist.

Nach der Beschreibung Saporta’s scheinen die Rhizo- corallien, welche sich in der weissen Kreide von Anzin, sowie bei Alcoy in Spanien finden, unter ganz ähnlichen Verhält- nissen vorzukommen. Die Annahme einer pflanzlichen Natur . dieser Körper scheint hiemit definitiv beseitigt.

Die Gattung Physophycus stimmt in allen wesentlichen Punkten mit Rhizocorallium überein und wäre wohl zweck- mässig mit dieser Gattung zu vereinen.

Die Rhizocorallien, sowie die unter dem Namen der Grapto- glyphen zusammengefassten Hieroglyphen kommen vorzugs- weise in Litoralbildungen vor.

Spirophyton kommt ziemlich gleichmässig in Litoralbil- dungen, wie in Ablagerungen tieferen Wassers vor.

Die echten Fucoiden (Chondriten) finden sich weitaus überwiegend in Tiefseeablagerungen.

Bei Ancona und Sinigaglia findet man nach v. Bos- niacki in grosser Mächtigkeit weisse, Kreidige Miocänmergel (Schlier?), welche sich beim Schlämmen als ein typischer Globi- gerinenschlamm erweisen.

Dieser kreidige, miocäne Globigerinenschlamm ist über und über mit Chondriten und Spirophyten erfüllt.

Der an Fucoiden, Hieroglyphen und Spirophyten so über- reiche Biancone von Tolfa erweist sich in Dünnschliffen unter dem Mikroskop ebenfalls als ein Foraminiferengestein vom Charakter des Globigerinenschlammes.

Dasselbe ist nach Hantken mit der Scaglia der Fall, die an manchen Orten auch sehr reich an Chondriten und Spiro- phyten ist.

Wenn man eine zähe Flüssigkeit zwischen zwei Glas- platten presst und die beiden Platten auseinanderreisst, so bilden sich auf beiden Platten zierliche, dendritische Zeich- nungen. Nathorst und Issel haben solche beschrieben und letzterer hiefür die Bezeichnung »Figures de viscosite« vor- geschlagen.

Dem Verfasser ist es gelungen, in Tübingen auf der oberen Fläche einer mit Ripplemarken und Fucoiden bedeckten Stein-

12 Th. Fuchs, Hieroglyphen und Fucoiden.

platte aus dem braunen Jura eine, im Relief erhaltene, äusserst zierliche dendritische Zeichnung zu finden, welche alle wesent- lichen Eigenschaften der »Figures de viscosite« zeigt.

Wirkliche Algen im fossilen Zustande kamen dem Ver- fasser während seiner Studienreise nur wenige zu Gesicht. Dieselben waren stets unschwer als solche zu erkennen und unterschieden sich stets auffallend von den sogenannten Pseudo- algen oder Fucoiden.

13

I. SITZUNG VOM 17. JÄNNER 1895.

Der Secretär legt daserschienene Heft IX (November 1894) des 15. Bandes der Monatshefte für Chemie vor.

Diese annidesrectetumesnur Bosmien ung. die Lienze- govina in Sarajevo übermittelt den Jahrgang 1893 der mete- orologischen Beobachtungen an den Landesstationen in Bosnien und der Herzegovina.

BDask.k österreichische Central Bureau für den hydrographischen Dienst in Wien übermittelt ein Exem- plar des Organisations-Statut des hydrographischen Dienstes in Österreich.

Biene Bro Dr, Stanzıstreintz in Graz dankt ür die ihm zur Materialbeschaffung für seine Experimentaluntersuchungen zum Zwecke der absoluten Berechnung der elektromotorischen Kräfte von Metallen in Salzlösungen von der kaiserl. Akademie bewilliste Subvention.

Base Ne Rlere Bror G Goldschmiedt in Praz über sendet eine Arbeit, betitelt: »Neue Bildungsweise des Diphtalyls«.

Herr Dr. Alois Lode, Assistent an der Lehrkanzel für Hygiene der k. K. Universität in Wien, überreicht eine Abhand- lung, betitelt: »>Experimentelle Beiträge zur Physiologie der Samenblasen«.

14

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Eandesresierunestürn Bosnien? und gie, Herreeionare Meteorologische Beobachtungen an den Landesstationen in Bosnien und der Herzegovina. Jahrgang 1893. Sara- jevo71899730le)

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II. SITZUNG VOM 24. JÄNNER 1893.

Bei Eröffnung der Sitzung bringt der Vorsitzende, Herr Naieopinarsidienie Brei, B2,Ssuless, zur Kenntniss, dass nach einer vorläufigen Mittheilung des hiesigen Hof- und Gerichts- advocaten Herrn Dr. Othmar Reiser der gestern verstorbene Wiener Bürger Herr Joseph Treitl, Director der Ersten Öster- kolchischene Spareassay ndie kaiserliche Akademie der WEIsSsehnls ch aiven testamentarischr zus Umimiersalerbin seines beträchtlichen Vermögens eingesetzt hat.

Zugleich theilt der Vorsitzende aus dem Wortlaute des vom genannten Testamentsexecutor bekanntgegebenen S. 9 des Testamentes vom 9. Mai 1880 einen Auszug mit.

Die anwesenden Mitglieder geben den Gefühlen der Dank- barkeit für den hochherzigen Spender durch Erheben von den Sitzen Ausdruck.

Der Secretär legt das erschienene Heft VIII—X (October bis December 1894), Abtheilung III der Sitzungsberichte vor.

Herr Dr. Alfred Nalepa, Professor am k. k. Staatsgymna- sium im V. Bezirke in Wien, übersendet eine vorläufge Mit- theilung über »Neue Gallmilben« (11. Fortsetzung).

Das w. M. Herr Prof. H. Weidel überreicht drei Arbeiten aus dem I. chemischen Universitätslaboratorium in Wien:

1. »Über die Affinitätsconstanten der mehrbasischen SEE unnde den Bestensausxen«, von Dr. R Wes- scheider.

16

[&)

. »Untersuchungen über die Hemipinsäure und die Esterbildung«, von Dr. R. Wegscheider. »Über den Nicotinsäureäthylester und die Über-

führung desselben in B-Amidopyridin«, von Felix Pollak.

&

Deus Morsitzende übersibt mit Bezuo Aaıı dead Sizune vomsl0r2lannmer 1]. vorgelegte Serierdersnewessen Mondarbeiten von Herrn Director Dr. L. Weinek in Prag die eingelangten Fortsetzungen.

II ZUNGSBERLELFER

DER

KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

MATHEMATISCH - NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.

ENVZBANDEIM EIDEE

ABTHEILUNG 1.

ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.

| Be

IVSSIBZUNG VOM77. FEBRUAR 1805.

Der Seeretär lest das erschienene Heft X (December 1894) der Monatshefte für Chemie vor.

Das c. M. Prof. Zd. H. Skraup übersendet drei im chemi- schen Institut der k. k. Universität in Graz ausgeführte Unter- suchungen, betitelt:

Notiz uber das, EC imehotenine: ven Dr BrKortmer 2. »Über die Einwirkung von Jodwasserstoffsäure au Eine horıme under Li yarochininsanvon Der G- Zum: 3. »Über Cinchotin und Cinchotenin,< von Prof. Zd.

H. Skraup.

Das c. M. Herr Prof. Guido Goldschmiedt übersendet eine Arbeit aus dem chemischen Institute der k. k. deutschen Universität in Prag: »Über eine neue Bildungsweise des Pr—2,3-Dimethylindols«e, von K. Brunner.

Herr Prof. Dr. H. Chiari in Prag übersendet eine Abhand- lung: »Über Veränderungen des Kleinhirns, des Pons und der Medulla oblongata infolge von cogenitaler Hydrocephalie des Grosshirns«.

Das w. M. Herr Prof. H. Weidel überreicht eine im I. che- mischen Laboratorium der k. k. Universität in Wien von Herrn F. Haiser durchgeführte Arbeit: »Zur Kenntniss der Ino- sinsäure«.

Das w. M. Herr Director E. Weiss überreicht eine Abhand- lung von Prof. G. v. Niessl in Brünn, betitelt: »Unter- suchungen über den Einfluss der räumlichen Bewe- gung des Sonnensystems auf die Vertheilung der nachweisbaren Meteorbahnen«.

20

Das w.M. Herr Hofrath Prof. V. v. Lang überreicht folgende Mittheilung von Dr. Victor Schumann in Leipzig: »Zur Photographie der Lichtstrahlen kleinster Wellen längen«.

Das w. M. Herr Hofrath Prof. A. Lieben überreicht eine Abhandlung von Prof. Dr. C. Liebermann aus Berlin: »Zur Formel der Quercetinderivate«.

Herr Prof. Dr. Ed. Lippmann überreicht folgende zwei Arbeiten aus dem III. chemischen Laboratorium der k. k. Uni- versität in Wien, von Herrn Paul Cohn:

1. »Über einige Derivate des Phenylindoxazens.«

(II. Mittheilung).

2. »Über die Bildung von Cyclophenylenbenzyl- idenoxyd.»

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Medicinisch-naturwissenschaftliche Gesellschaft zu Jena, Dienkschritten, IV. Band. Prof. Semon, R, mit Unterstützung des Herrn Dr.P.v. Richter: Zoologische Forschungen in Australien und dem Malayischen Archipelin den Jahren 1891 1893. I. Bd.: Ceratodus (l. Lieferung). (Mit 8 Tafeln und 2 Textfiguren). Text und Atlas. Il. Bd.: Monotremen und Marsupialier (Bieferung). (Mir Rateln"uUndz20ZRestneuren)g Next und Atlas. V.Bd.: Statistik und Thiergeographie (I. Lieferung). (Mit 5 Tafeln und 6 Textfiguren). Text und Atlas. Jena, 1893 —1894; 4°.

Societe Belge deGe£eologie, dePaleontologieetd’Hydro- loyosten m Brüssel, Bulletin: Tome I-—VLI Brüssel, 1887 1894, 8°.

Einige Bemerkungen über den Mond

von

Eduard Suess, w. M. k. Akad.

I. Die Beurtheilung des Baues der Mondoberfläche durch den Geologen ist bis vor Kurzem sehr grossen Schwierigkeiten begegnet. Gewohnt, sein Auge, sei es auf einer geologischen Karte, sei es auf einer weiten Landschaft oder einer Bergmasse, oder auf einem Gesteinsstücke ruhen zu lassen, konnte er prüfend die Eindrücke vergleichen, welche die Beobachtung ihm lieferte. Anders sind die Bilder beschaffen, welche der Mond im Fernrohre liefert, überaus mannigfaltig, wechselnd je nach der Beleuchtung, oft zweifelhaft im Umrisse, und auch die besten Karten waren bisher niemals ganz frei von der persön- lichen Auffassung des Verfassers. Die ausserordentlichen Fort- schritte, welche die Photographie auf diesem Gebiete erlangt hat, beginnen die Sachlage völlig zu verändern. Die vorzüglichen Aufnahmen der californischen Lick-Sternwarte in den Vergrösse- rungen der Herren Prof. Weinek in Prag und Prinz in Brüssel, dann die prachtvollen Bilder der Herren M. Loewy und Puiseux an der Pariser Sternwarte, gleichfalls vergrössert von Prof. Weinek, bieten dem Geologen eine unvergleichlich viel vollständigere Unterlage. Von solchen Bildern ist mir bei Abfassung der nachfolgenden Zeilen eine beträchtliche Aus- wahl vorgelegen, für deren Mittheilung ich zumeist Herrn Prof. Weinek verpflichtet bin. Herrn Dr. Prinz habe ich für die Übersendung der bisher erschienenen Blätter seines Atlas des Mondes zu danken. Die Aufnahmen sind hier als LW (Lick- Weinek), LP (Lick-Prinz) und PW (Paris-Weinek) bezeichnet.

8) DD

E. Suess,

Diese Fortschritte in der Darstellung bezeichnen eine neue Phase der Selenologie, und die genauere Kenntniss von den Vulcanen des Mondes ist ohne Zweifel auch von grosser Bedeutung für das richtigere Verständniss des tellurischen Vulcanismus. Die Zahl der hervortretenden Fragen ist aber eine sehr grosse. Die photographischen Bilder, welche mir zur Verfügung stehen, zeigen die Objecte fast ausnahmslos nur in einer Beleuchtung, während zum mindesten zwei Aufnahmen in verschiedenem Mondalter erwünscht wären. Es gibt Vor- kommnisse, welche, wenn auch minder auffallend, für den Geo- logen von weit höherem Interesse sind als andere. Auf solche Vorkommnisse hinzuweisen und eine Reihe von Fragen zu stellen, ist das bescheidene Ziel dieser Schrift.

Wo so viele unbekannte Elemente in die Beurtheilung ein- treten, ist es unerlässlich, dass vorläufig das eine oder das andere durch eine Hypothese eliminirt werde. Wir setzen die Hypothese, dass eine gewisse Übereinstimmung herrsche zwi- schen den mineralischen Stoffen auf der sichtbaren Oberfläche des Mondes und den vulcanischen Felsarten der Erde.

Unter dieser Voraussetzung ergibt sich sogleich, dass, da unsere basaltischen Felsarten, wie z. B. die noch öfter zu erwähnenden Laven von Hawaii bis 3:3 sp. Gew. erreichen, das Gewicht des gesammten Mondkörpers aber nur 3°4 ist, an der Oberfläche des Mondes mit grosser Wahrscheinlichkeit nur unsere leichteren, sauren Felsarten vermuthet werden dürfen.

Es ist aber ferner zu bedenken, dass, welches auch die Ursachen der magmatischen Differentiation der irdischen Laven in der Tiefe sein mögen, dem Gewichte dabei irgend eine gewisse Rolle zufallen muss. Da nun auf dem Monde die Schwere nur beiläufig den sechsten Theil der Schwere auf der Erde beträgt, ändert sich die Differenz. Nehmen wir z.B. einen Anorthit-Basalt vom Lavafelde Odadahraun auf Island mit sp. Gew. 2:971 (Sartorius) und einen hellgrauen Rhyolith von der Baula (Island) mit sp. Gew. 2572 (Schirlitz) oder noch besser zwei gleich grosse cubische Blöcke dieser Felsarten, von denen einer 2971 kg und der andere 2572 kg wiegt. Die Differenz beträgt 399 kg. Auf dem Monde ist die Gewichtsdifferenz nur 66:5 kg, und keines der beiden Gesteine erreicht auch nur die

Einige Bemerkungen über den Mond. 23

Hälfte des Gewichtes des Wassers auf der Erde. Die Wirkung der Schwere auf die Differentiation kann daher auf dem Monde nicht so gross sein als auf der Erde.

Unter den directen Versuchen, dieser Frage näher zu treten, sind jene des Herrn Landerer über den Polarisationswinkel der Mondoberfläche zu erwähnen. Die grossen grauen Flächen, wie sie im Mare Nectaris, Crisium, Fecunditatis und Tranquilli- tatis auftreten und das Gebiet zwischen dem Mare Humorum und M. Imbrium bilden, ergaben den Polarisationswinkel 33° 17”. Dieselbe Methode der Beobachtung, auf irdische Felsarten ange- wendet, zeigte, um nur wenige Beispiele zu nennen: Basalt a 182: Mrachyt. 82.167; Andesit 32°507; Mitrophyr 83° 184; Hyalomelan 33°39”; Obsidian 33°46” und Eis 37°20”. Hieraus schliesst Landerer auf eine Ähnlichkeit der Zusammensetzung dieser Theile des Mondes mit dem untersuchten Vitrophyr oder einem nahestehenden sauren vulcanischen Gestein.!

Die allgemeinen Verhältnisse auf der Mondoberfläche, welche neben der geringen Schwere hier zunächst noch in Betracht kommen, sind: Der Mangel einer Atmosphäre, welche wie auf der Erde auf dem Orte der Explosion lastet und welche den Schmelzpunkt und den Verdampfungspunkt abändert. Die geringe Temperatur der jeweiligen Nachtseite des Mondes, welche die Form der Erstarrung beeinflusst. Die grosse Differenz der Tages- und Nachttemperatur, welche viele Fels- arten zersprengen und grosse Theile der Oberfläche mit einem Meere von Splittern überdecken mag.

Indem ich nun zu Einzelheiten schreite, möchte ich voraus- schicken, dass ein nicht geringer Theil der nachfolgenden Ver- gleiche und Vermuthungen mit jenen Ergebnissen überein- stimmt, welche Prof. Dana vor bald einem halben Jahrhunderte

1 Der untersuchte Vitrophyr war ein schwarzes, aus dem Rhodope-Gebirge stammendes Gestein, welches grosse Krystalle von Sanidin, Magnetit und Horn- blende in einer fluidalen, nicht perlitischen Grundmasse zeigt. J.J. Landerer, Sur l’angle de Polarisation de la Lune; Comptes rend., 1889, b, p. 360 und Sur l’angle de Polarisation des roches ignees et sur les premieres deductions selenolog. qui s’y rapportent; ebendas. 1890, b, p. 210. Stan. Meunier nahm an, dass schlackige trachytische Felsarten auf dem Monde und daneben ebene, ergossene Massen vorhanden seien; Le Ciel Geolog., p. 50.

24 E. Suess,

veröffentlicht hat. Als derselbe von seiner ersten Reise nach Hawaii zurückgekehrt war, hatte er bereits die Ähnlichkeit der dortigen Vulcane mit jenen des Mondes und manche andere Eigenthümlichkeit richtig erkannt. Dem hochverdienten Gelehrten mag es nun eine seltene Befriedigung gewähren, zu sehen, bis zu welchem Grade die heutige genauere Methode der Beobachtung seine damaligen Annahmen bestätigt.!

II. Die Umgebung von Neapel ist oft mit der Oberfläche des Mondes verglichen worden. Die phlegräischen Felder würden bei scharfer einseitiger Beleuchtung einige Ähnlichkeit zeigen. Man betrachte z.B. die Darstellung derselben bei Poulett Scrope und beiNasmyth und Carpenter.” Manches allerdings würde anders aussehen, als auf diesem schematisirten Bilde. Soccavo und Pianura, sowie der vor denselben liegende Abhang bis zur Spina würden nur als halbe Becher erscheinen und zu ihnen würde sich der flache Becher des Quarto gesellen, aber Nisida, Astroni, Solfatara, Campiglione, M. Nuovo, der Averner See würden als Krater deutlich hervortreten. Insbesondere der etwas elliptische Astroni mit seinem rings geschlossenen, aus Trachyt- blöcken, Bimsstein und Pechstein aufgehäuften Walle, dem kleinen mittleren Kegel der Coffanella, der erstarrten trachyti- schen Lava zwischen der Coffanella und dem äusseren Ringe würde grosse Ähnlichkeit mit gewissen lunaren Gestaltungen bieten.

Dieses ist aber nur ein Theil der thatsächlich vorhandenen Ähnlichkeit.

Stellen wir uns die phlegräischen Felder nicht in seitlicher, sondern in voller Beleuchtung, im Zustande des Mittags oder der Vollerde vor. Die Schlagschatten und mit ihnen das Relief sind verschwunden; Astroni, M. Nuovo und die anderen Krater- berge sind nicht sichtbar, aber aus dem hellen Bilde leuchtet ein vereinzelter weisser, noch hellerer Fleck hervor. Es ist das Alaunfeld in der Tiefe der Solfatara, umgeben von den durch die sauren Dämpfe gebleichten Trachytfelsen des inneren Krater-

1 James D. Dana, On the Volcanoes ofthe Moon; Ann. Journ. Science, 1846, 2. ser., I, p. 339 399.

2 Paul Serope, Volcanos; 2. ed., 1862, p. 232; J. Nasmyth and J. Carpenter, The Moon, 4°, 1874, pl. VI.

Einige Betrachtungen über den Mond. 28

randes. Wir werden sofort an ähnliche weisse Flecken erinnert, welche auf dem von der Sonne beleuchteten und sogar auch auf dem nur im Erdlichte stehenden Theile der Mondscheibe sichtbar sind. Diese weissen Flecken kommen nur einzelnen Mondkratern zu, so wie auch auf der Erde nur einzelne Vulcane einen hellen Fleck zeigen würden.

Bekanntlich haben die Selenographen seit Schröter die Abstufungen der Helligkeit einzelner Stellen auf dem Monde durch eine zehntheilige Scala auszudrücken versucht. Beer und Mädler haben die zehntheilige Scala angenommen, jedoch eine genauere Anpassung derselben an die sichtbaren Objecte versucht. Neison hat eine lehrreiche Übersicht gegeben, auf welche ich hinweise.! sind die dunkeln Schatten; 1°, ein fast schwarzes Grau, ist selten; und ist in den meisten Maren sichtbar, so im Mare Crisium, in Theilen des Mare Tranquillitatis und am Rande des Mare Serenitatis. Die inneren Flächen der meisten Randgebirge und Wallebenen zeigen 3—4°. Zwischen dem gelblichen Grau und dem Grauweiss 6°, also um herum, liegt die gewöhnliche Färbung aller Berge, der Ränder der Wallebenen und Ringgebirge und der grossen Mehr- zahl der helleren Strahlen und Streifen. Alle Vorkommnisse von und darüber sind verhältnissmässig selten; es sind nicht grosse Flächen, sondern Flecken und Punkte, Krater und Krater- ebenen oder kleinere Stellen; erreichen nur einige wenige Punkte; 10° ist so gut wie ausschliesslich auf das Innere von Aristarchus beschränkt.

Würde man weniger in das Einzelne gehen, so möchte sich das Ergebniss herausstellen, dass die Flächen dunkel und in Mitteltönen, die Höhen zum grossen Theile etwas lichter und dass alle ganz hellen Theile zerstreut und örtlich umgrenzt sind. Dass diese hellen Theile zu den jüngsten gehören, ist schon seit längerer Zeit erkannt worden.

Es wäre nicht besonders schwierig, die vulcanischen Pro- ducte der Erdoberfläche gleichfalls nach ihren Farben nach einer zehngliedrigen Scala zu ordnen. Auch hier fehlt es nicht

1 Edm. Neison, Der Mond. Deutsche Ausgabe von Dr. Herm. Klein, S. 50 u. folg.

26 E. Suess,

an scharfen Gegensätzen der Farbe, vorausgesetzt, dass nicht Pflanzenwuchs oder Verwitterung verhüllend eintreten. So be- tont z. B. Thoroddsen den Contrast der Farben an solchen Stellen in Island, wo weisser Bimsstein auf schwarzem Basalt liegt, und die lichten, schreienden Farben, welche durch die Einwirkung der Solfataren auf Liparit hervorgerufen werden.!

Bei einer solchen Gliederung der irdischen Vorkommnisse wird man nur bei den dunkelsten Tönen I oder 2 in einigem Zweifel bleiben, weil zugleich die Obsidiane und Pechsteine und die grosse Masse der basaltischen Felsarten hier bei aller sonstigen Verschiedenheit um den Platz streiten mögen. Dabei ist noch zu bedenken, dass, wie Zirkel kürzlich erinnerte, auch der dunkelste Obsidian im gepulverten Zustande eine helle Farbe zeigt. Die mittleren grauen Töne fallen den Ande- siten und Trachyten zu, während etwa von aufwärts ausser den weissen Rhyolithen keine eigentlichen Laven, sondern Fumarolen und ihre Nebenproducte,-dann weisser Bimsstein und gewisse blendend weisse Aschen in die Scala eintreten.

Man sieht sofort, dass auch auf der Erde die hellsten Farben als die jüngsten Producte und auf umgrenzteren Ge- bieten getroffen werden.

Nun entsteht die Frage, wie weit diese beiden Farben- scalen mit einander verglichen werden dürfen. Selbst bei der vollsten Übereinstimmung der Stoffe, sowie der physikalischen und chemischen Vorgänge darf doch aus den bereits erwähnten Umständen das Vorhandensein grosser Mengen unserer schwe- ren, schwarzen, basaltischen Laven auf der Oberfläche des Mondes als unwahrscheinlich bezeichnet werden. Ergüsse ähn- lich jenen des Dekkan-Trap werden kaum vorausgesetzt werden dürfen.

Neison gibt an, dass auf dem Monde selten sei und gewöhnlich nur in Theilen von Riccioli und Grimaldi gefunden wurde; zeitweise nähere sich Plato dieser Färbung sehr, und einige kleine schwarze Flecken auf dem Mare Vaporum; bis 2°, seien etwas Gewöhnliches, Beispiele treten in Plato, Bosco- vich und Theilen von Schickhardt auf.

1 Th. Thoroddsen, Om nogle postglac. liparitiske Lavaströmme i Island; Geol. Fören. Stockholm, Förhandl. 1891, XIII, p. 609, 617.

Einige Bemerkungen über den Mond. I.

Diese Beschränkung der dunkelsten Farbentöne auf das Innere einzeiner Krater spricht nicht für eine Gleichstellung mit den irdischen, dunkelsten, dünnflüssigen, basischen Laven. Man möchte eher auf dunkle Gläser schliessen, doch wissen wir nicht einmal mit Bestimmtheit, ob es sich in allen diesen Fällen wirklich um die Eigenfarbe der lunaren Felsart handelt.

Während auf diese Art für die dunklen lunaren Farben 1—2 Zweifel verschiedener Art bestehen, herrscht für die helleren und hellsten Farben eine unverkennbare Überein- stimmung mit der Erde. Einzelne Krater der Erde zeigen in ihrem Innern thätige Solfataren; andere zeigen nichts Ähnliches. Weisse Färbung von grösserer oder geringerer Intensität kann aber auf verschiedene Weise erzeugt werden.

Der Krater der Liparen-Insel Vulcano hatte seit 1771 keine grössere Eruption gezeigt; Fumarolen stiegen in demselben in Menge auf; im Jahre 1813 begann man die Erzeugnisse der- selben, und zwar Borsäure, Schwefel, Ammoniak und Alaun, zu gewerblichen Zwecken zu gewinnen. So blieb der Zustand durch mehrere Jahrzehnte, bis am 7. August 1873 die Arbeiter eine gesteigerte Thätigkeit der Fumarolen bemerkten.

Am 7. September erfolste eine, Eruption, welche drei Stunden währte und die Insel mit einer blendend weissen kieselreichen Asche überdeckte. »Während diese Asche auf der ganzen Insel niederfiel«, schreibt Baltzer, »hatten die anwesenden Liparioten das eigenthümliche Schauspiel eines nordischen Schneefalles, freilich an einem Material von ganz anderer Natur«.* Der Hauptkegel und seine Umgebung waren ganz weiss; die Dicke der Schichte betrug 3— 4 cm.

An späteren Tagen, am 14. und 15. September fiel gewöhn- liche, lichtgraue Asche, wie sie aus der Zerstäubung der Laven hervorgeht.

Bei der Reihe nachfolgender Ausbrüche, namentlich bei der heftigen Eruption von 1888, sind theils von sauren Dämpfen

1 A. Baltzer, Geogn. chem. Mittheilungen über die neuesten Erupt. auf Vulcano; auch die nachfolgenden Bemerkungen von G. v. Rath; Zeitschr. deutsch. geol. Gesellsch., 1875, S. 36, 411, 725 und 1878, S. 360.

28 BesSswess!

gebleichte Lavastücke, vorherrschend aber gewöhnliche graue Aschen und Bomben ausgeworfen worden.!

Die häufigste Art der hellen Färbung der Innenseiten irdischer Krater dürfte aber, wie bei der Solfatara der phlegräi- schen Felder, den Fumarolen und ihren Producten, insbesondere der Bleichung der Laven durch saure Dämpfe zuzuschreiben sein.

Ein photographisches Bild eines solchen, durch Fumarolen erzeugten weissen Fleckes gibt die Aufnahme Osk. Simony’s im Gipfelkrater des Pico de Teyde.?

An den äusseren Gehängen der chilenischen Vulcane, deren Krater zumeist mit Schnee und Eis bedeckt sind, unter- scheidet Domeyko Solfataren, welche vorübergehend auf langen Spalten auftreten, und örtlich umgrenzte, bleibende Solfataren.?

Die Solfataren auf Spalten sind von Bedeutung für das Studium des Mondes. Am 26. November 1847 hat sich unter schweren Detonationen eine Spalte gebildet, welche von der trachytischen Hochregion des Cerro Azul aus etwa 3000 m herabreichte bis zu dem Sattel Portezuelo del Viento (2700 m), welcher diesen Berg mit dem erloschenen Vulcan Descabezado grande (lat. 35°30’) verbindet; von da setzte sich die Spalte zwischen beiden Bergen nach Ost und nach West fort. Ihre gesammte Länge war 8—9 km. Drei Monate nach der Bildung besuchte Domeyko die Stelle Man sah eine dammähnliche Anhäufung von grossen Trachytblöcken, zwischen welchen an unzähligen Stellen Wasserdampf, Schwefeldämpfe und stellen- weise auch Chlordämpfe hervortraten. Die ganze Spalte schien sich mit einem Schlage gebildet zu haben. Man sah wohl brennenden Schwefel, aber weder geschmolzene Lava, noch

1 ©. Silvestrie G. Mercalli, Le Eruzioni dell’Isola di Volcano, 3 Ag. 1888—22 Marzo 1890; Ann. dell’Off. centr. di Meteorol. e Geödynam., 1883, parte IV, vol. X.

2 ©. Simony, Über eine naturw. Reise nach der westl. Gruppe der Canar. Inseln; Mitth. geogr. Ges. Wien, 1890, XXXIIL, Taf. VII; J. Hof, Keramohalit von Tenerifa; Tschermak, Min. Mitth., herausg. von Becke, neue Folge, II, ISO, S. 89), Nas IE

3 Domeyko, Mem. sur les Solfatares laterales des Volcans dans la chaine merid. des Andes du Chili; Ann. des Mines, 1876, 7. ser., IX, p. 142.

Einige Bemerkungen über den Mond. 29

Asche oder Bimsstein. Eine weisse erdige Masse bedeckte die der Wirkung der Fumarolen ausgesetzten Blöcke. Im Jahre 1857 war Domeyko zum zweitenmale dort. Die Emission der Dämpfe war weit geringer; thurmartig hervorstehende Blöcke waren zer- fallen; die Abhänge der Solfatara hatten ihre aschgraue Farbe erhalten, während einige Ecken der Blöcke geschwärzt waren. Bei einem dritten Besuche, 1875, fand Domeyko die Solfatara seit einigen Jahren todt; die Farbe war dunkel geworden.

Ähnliche lange, erloschene Solfatarensprüngesind in diesem Gebirge an mehreren Stellen bekannt. Insbesondere soll sich 1843 von dem erloschenen Vulcan San Jose aus (lat. 33°40’ Höhe 6.098 m) eine lange ähnliche Spalte gebildet haben. Viele Steine wurden ausgeworfen; grosse Mengen von Dämpfen traten hervor; der Vulcan selbst blieb ruhig.

Die seitlichen Solfataren, welche mehrere hundert Meter unter der Kante, an der Aussenseite des Kraters, niemals auf der Höhe selbst, zu sitzen pflegen, wie die Solfatara von Chillan und jene des Tinguiririca, zeigen keine langen Spalten, keine gewaltsamen Ausbrüche und sind beständig.

Suchen wir nun die hellen Stellen des Mondes auf.

Sie stehen in offenbarer Verbindung mit einzelnen grossen Kratern. Sie erscheinen innerhalb derselben oder an ihren äusseren Abhängen, oder gehen in langen, strahlenförmig gestellten Streifen von ihnen aus. Es ist mir kein Fall bekannt, in welchem weisse Stellen am äusseren Gehänge oder strahlen- förmige Ausläufer vorhanden wären, ohne dass der Kratergrund gleichfalls weiss wäre. |

Das hellste weisse Object auf dem Monde ist Aristarch. Sein Durchmesser ist 39°30 km; der Centralberg ist glänzend, aber nicht hoch. »Im Innern«, sagt Neison, »findet sich ein zweiter Berg und eine kleine Kraterhöhle von 91/,° Helligkeit. Das Innere von Aristarchus ist volle 9!/,°, der Westwall bis 8°, der Südwall 8°, der Ostwall 9°, der Nordwall 9!/,°, der Centralberg 10° hell, letzterer der hellste Punkt auf dem ganzen Monde«.

Ein Fleck in Werner, welchen Mädler als einen schim- mernden, glänzenden Punkt von 10° beschrieb, soll seither an Helligkeit verloren haben.

30 E. Suess,

Die auffallendste Erscheinung bleiben die hellen Strahlen- systeme, welche von Tycho, Copernicus, Kepler und einer Anzahl anderer Krater, und zwar von dem äusseren Abhange derselben auslaufen. Dieser Umstand tritt namentlich dort her- vor, wo, wie bei Tycho, der Kraterrand als ein grauer Kreis innerhalb der weissen Gebilde sichtbar bleibt. Diese Strahlen können eine Länge von vielen hundert Kilometern erreichen. Sie haben gar kein oder doch bei weitem in den meisten Fällen kein nachweisbares Relief. Sie ziehen in grösserer oder ge- ringerer Breite quer über hohe Kraterberge und tiefe Niede- rungen, verlieren an Helligkeit und verschwinden endlich. In einzelnen Fällen enden sie an einem Krater. Wie lange weisse Schatten legen sie sich über das grosse Schlackenfeld. Zuweilen scheinen sie sich zu gabeln. Einige wenige Beispiele von Krüm- mung sind bekannt. |

Vielerlei Hypothesen wurden aufgestellt, um diese gross- artigen und sonderbaren Gebilde zu erklären. Der erste Ein- druck ist jener einer wahren Disruption oder strahlenförmigen Zersprengung grosser Theile des Himmelskörpers, ausgehend von übergewaltigen Explosionen in einem dieser Krater. Zer- sprengung in diesem Sinne ist es aber gewiss nicht. Ein Blick auf die Photographie der Umgebung von Tycho (LW) zeigt, dass die zahlreichen Kraterringe, welche ihn umgeben, nicht zersprengt sind, ja nicht einmal der Kraterrand des Ausgangs- punktes Tycho selbst zeigt irgend eine solche Zersprengung. Es ist vielmehr, als würde eine weisse Masse auf Plato, Coper- nicus und anderen Ausgangspunkten lagern, vielleicht weisser Bimsstein oder weisse Asche.

Was sind nun diese weissen Strahlen? Klüfte sind sie nicht, das zeigt das ungestörte Relief der Kraterberge, über welche sie hinziehen. Gänge von weissem Gestein sind sie nicht; das zeigen gleichfalls diese Kraterberge. Ausgeworfene Massen, wie weisse Asche oder weisser Bimsstein sind sie nicht; diese mögen innerhalb der Krater oder in der Nähe derselben aufgehäuft liegen, aber die strahlenförmige An- ordnung widerspricht der Entstehung durch Auswurf.!

1 Von Gilbert (The Moon’s Face; Philos. Soc. of Washington; Adress as retiring President for 1892; Bullet. XII, p. 284) wurde die Ansicht ver-

Einige Bemerkungen über den Mond. a

So bleibt uns innerhalb der Vergleichspunkte, welche der irdische Vulcanismus bietet, nur eine einzige Erklärungsweise zurück. Wir werden zu der Annahme geführt, dass, so wie auf der Erde als eine Nachwirkung vulcanischer Thätigkeit die Fumarolen auftreten, so auch auf dem Monde ausgebreitete Fumarolenthätigkeit gefolgt ist. Es scheint, als wären nicht, gewaltige Zersprengungen, wohl aber feinere Klüfte strahlen- förmig auf sehr grosse Entfernung um einzelne Kraterberge gebildet worden, als hätten sich diese in ihrem Laufe zu Netzen von Klüften entwickelt, und als hätte auf diesen bergauf und bergab die Exhalation saurer Dämpfe, die Bildung der gewöhnlichen Sublimate der Fumarolen und vor Allem wie auf der Erde weithin eine Entfärbung und Bleichung der von den Dämpfen berührten Felsarten stattgefunden.

Diese Strahlen müssen nicht einmal alle zur selben Zeit und auch nicht während der Thätigkeit des betreffenden Vulcans, z. B. des Tycho, gebildet sein. Die Solfatarenlinien der chilenischen Vulcane sind erzeugt worden an den Abhängen von Vulcanen, welche innerhalb der Tradition des Landes keine Eruption gezeigt haben. Nur so erklärt es sich, dass die Strahlen ausser sichtbarer Verbindung mit dem weissen Inneren des Kraters selbst bleiben können. Nur so verstehe ich, dass andere Krater, von einem solchen Strahle der ganzen Breite nach überdeckt, ihre Farbe ändern und ihr Relief bei- behalten Konnten.

Zwei Einwendungen lassen sich erheben. Die erste wird lauten, dass das Ausmass dieser Kluft- und Fumarolenbildung doch gar weit über die Vorkommnisse der Erde hinausgehe. Das ist aber nur eine Verschiedenheit des Grades, nicht des Wesens, und die Phänomene, welche sich auf der Oberfläche einer nackten, verschlackten Pyrosphäre abspielen mögen, sind uns auf der Erde zum grössten Theile verhüllt. Unter anderen Verhältnissen gebildete Spalten können allerdings auch auf der Erde grosse Längen erreichen. Der basaltische Cleveland

treten, dass weisse Masse durch Niederstürzen eines fremden Objectes aus- sespritzt worden sei, daher etwa wie auf Fig. III von E. Odlum in Trans. Seismol. Soc. Japan, XIII, 1890, p. 26 von Auswürflingen des Bandaisan.

2) DL E. Suess,

Dyke in Schottland erreicht nach Geikie 177 km oder, wenn eine weitere Fortsetzung dazugefügt wird, nahe an 300 km.

Die zweite Einwendung mag dahin gehen, dass so aus- gedehnte Fumarolenwirkung die Anwesenheit von Wasser- dampf voraussetzt. Ch. Sainte-Claire Deville hat, auf Bunsen'’s Vorarbeiten gestützt, gezeigt, dass die Emanation der Dämpfe bestimmten Regeln folgt. Fouque hat diese Richtung der Forschungen fortgesetzt, und man sieht nun ziemlich klar in diese merkwürdigen Vorgänge.

Zuerst und bei einer Temperatur, welche höher ist, als der Schmelzpunkt von Zink (500° C.), entweichen der Mitte grosser Lavaströme, welche noch im geschmolzenen Zustande sind, trockene, anhydre Fumarolen. Chlor bezeichnet diese Phase. Kochsalz legt sich zuweilen als ein weisser Überzug über die rauhe Oberfläche der Lava; seltener erscheint Chlorkalium. Alle anderen Producte sind noch viel seltener.

Die zweite Phase bilden die sauren Fumarolen. Sie be- stehen aus Salzsäure, schwefeliger Säure und grossen Mengen von Wasserdampf. Ihre Temperatur ist 300—400°, und sie er- scheinen wohl auch zugleich mit den ersteren, doch mehr gegen den Rand des Lavastromes hin.

Hierauf folgen die alkalinischen Fumarolen bei etwa 100°, auch begleitet von Wasserdampf in grosser Menge. Mit ihnen kommen Mengen von Schwefelwasserstoff, welche an der Atmo- sphäre Schwefel niederlegen. Dann die kalten Fumarolen unter 100° mit Wasserdampf, Kohlensäure und etwas Schwefel- wasserstoff. Endlich die hauptsächlich von Kohlensäure gebil- deten Mofetten.!

Man darf sich wohl mit Fouque vorstellen, dass diese fünf Phasen nicht principiell verschiedene Erscheinungen, sondern nur Glieder einer zusammenhängenden Reihe sind, deren schrittweise Entwicklung mit der sinkenden: Temperatur in Verbindung steht.

Die mittleren drei Phasen sind von der Entwicklung von grossen Mengen von Wasserdampf begleitet.

1 Ich beschränke mich darauf, die vortreffliche Übersicht dieser Ergeb-

nisse in Lapparent, Traite de Ge£ologie, 3. €d. 1893, II, p. 397 und folg. anzuführen.

Einige Bemerkungen über den Mond. 33

Vergleicht man nun die lunaren Vorkommnisse, die grosse Ausdehnung, die in ihren verschiedenen Schattirungen bis zu 30 km steigende Breite einzelner der hellen Strahlen, so spricht ein sehr hoher Grad von Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese breiten Strahlen, wenn sie durch Dämpfe und Sublimationen und die Bleichung der Felsarten erzeugt worden sind, doch so. grosse Dimensionen ohne die Mitwirkung des Wasserdampfes nicht erreichen konnten.

Es ist meine Meinung, dass die trockenen Chlor-Emana- tionen kaum hinreichen würden, um die Strahlensysteme auf dem Monde herbeizuführen. Geht ja doch, selbst wenn Wasser- dampf zugestanden wird, das Ergebniss auf dem Monde noch immer weit über Alles hinaus, was die Erde aufweist.

Die nächstliegende Hypothese bleibt auch hier, dass sich auf dem Monde dieser Vorgang in eben dieser Weise abge- spielt haben mag, wie auf der Erde. Wenn allerdings die Ver- schiedenheit der Tag- und Nachttemperatur auf dem Monde so gross sein sollte, wie sie im Anschlusse an die Beobachtungen des Lord Rosse vermuthet worden ist, ja wenn diese Differenz nur annäherungsweise solche Ziffern erreichen würde, so könnte nach den von Deville ermittelten Temperaturen der einzelnen Phasen der irdischen Fumarolen leicht irgend ein andauerndes Schwanken zwischen den Grenzen dieser Phasen erzeugt werden, von welchem wir auf der Erde kein Beispiel haben.

Endlich ist nicht zu übersehen, dass die Bildung von so grossen Strahlensystemen, wie jene von Tycho oder Coper- nicus, durch Dämpfe nur unter der Voraussetzung zulässig ist, dass zur Zeit ihrer Entstehung so ziemlich unter der ganzen sichtbaren Mondscheibe, unter allen ihren Ebenen und Kratern, eine, wenn auch nicht nach oben scharf oder gleichmässig ab- gegrenzte, aber doch gemeinsame Pyrosphäre von so hoher Temperatur vorhanden war, dass aus derselben die heissen Dämpfe auf so grossen Strecken an die Oberfläche gelangen konnten. Die Lithosphäre war vorhanden, konnte aber keine sehr bedeutende Mächtigkeit besitzen.

II. Seit langer Zeit war es bekannt, dass Wasserdampf bei vulcanischen Ausbrüchen eine hervorragende Rolle spiele

und mancher scharfsinnige Versuch ist gemacht worden, um Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CIV. Bd., Abth.1. 3

34 Er Suess’

das Eindringen sei es von Meerwasser, sei es von oberfläch- lichem Infiltrationswasser in die Tiefe der feurigen Esse zu erklären. Seitdem man jedoch beobachtet hat, wie ganz ausser- ordentlich das Absorptionsvermögen vieler im Schmelzflusse begriffenen Metalle und z. B. des Glases für verschiedene Gase ist, musste diese ältere Ansicht zurücktreten. Es ist einfacher und natürlicher, vorauszusetzen, dass die den Vulcanen ent- weichenden Dämpfe ursprünglich von dem glühenden Erd- körper absorbirt waren. Damit wird das Herausstossen dieser heissen Dämpfe zu einer Begleiterscheinung der Abkühlung des Himmelskörpers.

Die Ansicht von der ursprünglichen Absorption der in den Laven enthaltenen Gase kann als die Angelot'sche Theorie bezeichnet werden, und sie ist bereits im Jahre 1877 von einem so genauen Kenner vulcanischer Producte, wie G. Tschermak, nicht nur vertreten, sondern auch versuchsweise auf den Mond angewendet worden.!

Trotz der Richtigkeit der Angelot’schen Theorie, dringt aber gewiss in einzelnen Fällen auf der Erde Wasser der Ober- fläche zur Lava und verstärkt die Explosion. Auf dem Monde ist die Emanation ursprünglich absorbirten Wasserdamptes, wenn überhaupt so weit Ähnlichkeit mit der Erde besteht, für die Erklärung der sichtbaren Gebilde kaum zu entbehren. Oberflächlich gesammeltes Wasser sieht man aber nicht.

Ein Fall, wie der Ausbruch des Krakatao, bei welchem unausgesetzt das Meer gegen die Esse selbst drängte, ist nicht denkbar auf dem Monde.

Prof. Branco hat in eingehender Weise zahlreiche Durch- bohrungscanäle, erfüllt mit Basalt und basaltischem Tuff aus der Umgebung von Urach in Württemberg beschrieben, sie »Vulcanembryonen« genannt und mit dem Monde verglichen. Diese Vorkommnisse finden sich zum grössten Theile auf dem weissen Jurakalke der Schwäbischen Alb oder auf Stellen, an welchen zur Zeit der Eruption die Alb noch nicht abgetragen war. In Franken ist der. Jurakalk heute von grossen Höhlen

1 G. Tschermak, Über den Vulcanismus als kosmische Erscheinung.

Diese Sitzungsber., 1877, LXXV, insb. Anm. 2 am Schlusse.

Einige Bemerkungen über den Mond. 3)

durchzogen. In Württemberg zeigt die Landschaft der Alb und das Hervortreten grösserer Wassermengen an ihrem Fusse, wie der Blau und der Lauter, die typischen Merkmale eines Kalk- oder Karstgebietes. Branco nimmt selbst heftige Gasexplo- sionen an und ist nicht abgeneigt, feine Haarspalten als leitende Linien für die Explosionscanäle zuzugestehen. Grosse Massen von Kalksplittern und Blöcken, an einem Punkte sogar Bach- geschiebe (S. 414, 504), liegen im Tuff. Hieraus möchte ich ent- nehmen, dass Lava eingetreten ist in ein von Wasser erfülltes Höhlen- oder Spaltensystem unter einem Karstgebirge, und dass alle diese Canäle binnen wenigen Stunden in einer unaus- gesetzten Reihe grosser Explosionen gebildet worden sind. Das ist die Ausbohrung der Infiltrationsspalten unter den Dolinen. Solche Bedingungen fehlen dem Monde.!

Vor einiger Zeit hatte ich Gelegenheit, durch die Gefällig- keit des Herrn Directors Paul Kupelwieser den Guss einer grösseren Anzahl von Stahl-Ingots und die Art ihrer Abkühlung auf den Eisenwerken zu Witkowitz zu verfolgen. Die Guss- formen oder Coquillen boten Raum für einen Ingot von vier- seitig prismatischer Gestalt mit etwa 300 cm Querschnitt und mehr als 1 m Höhe. Gegen unten war der Querschnitt etwas geringer. Die so erzeugten Stahlprismen oder Ingots wogen 1200— 1400 Rg.

Die Coquille wird voll Stahl gegossen; eine grosse Menge von Gasen entweicht und in der Coquille sinkt fortwährend die Oberfläche des flüssigen Stahls; es soll vorgekommen sein, dass der Stahl bis zu dem zehnten Theil seines Volums herab- gesunken ist, während man in die Coquille wie in einen Schlund einen Meter tief hineinblicken konnte und nur ein Rohr von erkaltetem Stahl rings an den Wänden der Coquille haftete. Während die Oberfläche des flüssigen Stahls sinkt,

! Branco, Schwabens 125 Vulcanembryonen. 80; Stuttgart 1894, auf S. 772—806; für Infiltrationsspalten unter Dolinen J. Cvijic, Das Karst- phänomen, Penck’s Geogr. Mitth., V, 1893, S. 259; für Explosionen von Ci- sternen Or. Si lvestri, Sulle Eruzionicentr. ed eccentr. dell Etna, 18., 19. Maggıo 1886, 2%. Rapp. al Governo, p. 10. Inwieferne diese Erklärung für ein ähnliches, von Herrn Geikie in Schottland geschildertes Gebiet gilt, vermag ich nicht zu unterscheiden.

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6) E. Suess,

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wird Stahl nachgegossen; fortwährend entweichen Gase, und fünfmal, auch sechsmal wird wieder die Coquille bis nahe zum Rande gefüllt, bis endlich der Stahl so weit sich abgekühlt hat, dass weiteres Nachfüllen unthunlich ist. Auf seiner Oberfläche schwimmt jetzt eine lockere, etwas blasige Schicht, zumeist aus leichteren Schwefelverbindungen bestehend, welche im Stahl zurückgeblieben waren. Durch diese Lage hindurch voll- zieht sich unausgesetzt das Ausströmen der Gase. Spratz- erscheinungen treten an der Oberfläche auf. Setzt man für einige Minuten einen Deckel von Gusseisen auf die Coquille, so verdichtet sich die erstarrende obere Schicht; entfernt man den Deckel, so brechen die Gase wieder durch, es bildet sich wohl auch ein kleinerer Spratz- oder Eruptionskegel in der Mitte; zuweilen entsteht er excentrisch; manchmal bilden sich ihrer zwei oder drei.

Stört man nach dem letzten Nachgusse die Erkaltung nicht, so sieht man Blasen und öfters auch Kegel an der Ober- fläche, durch welche der Dampf abgeht; man sieht auch diese Oberfläche sinken; sie geht je nach dem letzten Nachgusse und anderen Nebenumständen noch um 0:1 m oder mehr unter den Rand der Coquille herab und hinterlässt nicht selten an der Innenseite des obersten Theiles der Coquille einen oder zwei oder gar drei horizontale Leisten, welche ebensoviele Verzöge- rungen in dem Sinken der Oberfläche des erstarrenden Stahles darstellen.

Diese Vorgänge in der Coquille sind im Wesentlichen die- selben, welche Dana in der grossen Esse des Kilauea kennen gelehrt hat, nur tritt an die Stelle des Zugiessens von oben in dem Krater ein Ersatz von unten ein. Alle Einzelheiten, das Entstehen unregelmässiger Randbrüche rings um die sinkende Decke, das Zurückbleiben von »black ledges« oder Gesimsen, welche ein längeres Verweilen der sinkenden Oberfläche an- zeigen, das stellenweise Aufreissen der dünnen, verschlackten Decke und das Sichtbarwerden eines Feuersees gleich dem Halemaumau unter derselben, die Bildung von eruptiven Schlackenkegeln, sie lassen sich in der Coquille eben so gut erkennen, wie am Grunde und an der Umrandung der vul- canischen Esse. Die Übereinstimmung beider bestärkt aber die

Einige Bemerkungen über den Mond. Bm

Vermuthung, dass der Auftrieb der geschmolzenen Lava ver- anlasst wird durch das zeitweise Hinzutreten überhitzter und elastischer Dämpfe.

Ähnliche Beobachtungen sind es gewesen, welche Tscher- mak, wie bereits gesagt worden ist, zur Vertretung der Ange- lot’schen Theorie von der ursprünglichen Absorption der in den Laven enthaltenen Gase geführt haben. Hier handelt es sich um die mechanischen Nebenerscheinungen, welche das Entweichen dieser Gase begleiten. F. C. G. Müller unter- scheidet in seinen wichtigen Arbeiten über diesen Gegenstand zwei von einander wesentlich verschiedene Bewegungen in der Coquille, nämlich das Steigen und das Spratzen. Das Steigen wird dem Hydrogen und Stickstoff, das Schäumen und Spratzen aber dem Kohlenoxyd zugeschrieben. Bei dem Steigen erhebt sich die ganze Decke des Stahls und wenn die unter der Decke vorhandenen Poren die Neigung finden, sich zu vereinigen, so entstehen horizontale Wurmröhren; in erkaltetem Stahl geben angebohrte Poren dieser Art Wasserstoff mit einer geringen Menge von Stickstoff. Das Spratzen dagegen wird durch verti- cal in der »Seele« des Ingots aufsteigende Blasen herbeigeführt. Wenn der Canal in der Seele des Blockes regelmässig von unten nach oben sich schliesst, gibt auch spratzender Stahl einen dichten Block; erfolgt die Schliessung oben zu früh, so sammelt in der Tiefe sich das Gas. Verdünnung der Luft über geschmolzenem Eisen kann, wie die Versuche von Bessemer, Parry u. A. zeigen, das Entweichen der Gase in hohem Maase steigern.!

Nun wenden wir uns dem Monde zu.

Wir sehen nicht nur kein Wasser, sondern auch keine Spur von Sedimenten, wie sie etwa frühere Meere hinterlassen hätten und wie sie als eine ausgebreitete Hülle einen so grossen Theil Continente der Erde bedecken; auch sehen wir gar nichts, was an die Formen unserer archaischen Berge, an unsere Faltengebirge oder Horste mahnen würde, und unwillkürlich werden wir daran gemahnt, dass die Faltengebirge der Erde

I F.C.G. Müller, Neue experim. Untersuchungen über den Gasgehalt von Eisen und Stahl; Stahl und Eisen, 1883, S. 443 und folg., insb. S. 444, 453 und eb. dess. 1884, S. 69 und folg.

38 E. Suess,

doch gar oberflächliche Erscheinungen sein mögen. Was der Mond zeigt, sind Kreise, grosse, mittlere und kleine, immer wieder die Kreisform, höchstens da und dort eine Ellipse oder eine geringe Abweichung vom Kreise.

Das ist die nackte Oberfläche eines erstarrten, einst glü- henden Weltkörpers.

Indem ein soicher Weltkörper erstarrt, wird er zuerst da und dort leichtere Schlacken an seiner Oberfläche bilden; Schollen derselben werden Zusammenhang gewinnen; eine erste Hülle bildet sich. Diese wird wieder zerrissen, aufgezehrt und der Vorgang wiederholt sich. Jetzt ist die Hülle stärker geworden. Die Temperatur der grossen Masse ist aber keines- wegs eine völlig gleichförmige. An irgend einer Stelle steigert sie sich, zehrt neuerdings die schlackige Hülle auf und von dieser Stelle aus schreitet nach allen Richtungen die neuer- liche Umschmelzung gleichförmig fort, über hunderte von Kilo- metern. Die Gestalt des Schmelzherdes ist die eines Kugel- abschnittes; sein Umriss ist ein Kreis. Endlich nähert der Vor- gang sich seinem Ende; die Temperatur der Oberfläche ist an den Rändern des Herdes geringer; die Schlacken werden nicht mehr ganz aufgezehrt, sondern wie eine Moräne nach aussen geschoben. Nun stockt das Ganze. Was zurückbleibt, ist eine weite, ebene Fläche, kreisförmig umgeben von einem Gebilde, welches die wildesten Umrisse zeigt, einem Schlackenwall, welcher gegen Innen, gegen die nun neu erstarrende Fläche, einen Abfall von vielen tausenden von Fussen aufweisen mag. Solche sind zZ. B. die gewaltigen Schlackenwälle, welche unter den Namen des Apennin, der Alpen u. s. w. das Mare Imbrium umgeben; die Art und Weise, wie der Sinus Iridum sich mit diesem vereinigt, namentlich Cap Laplace und Cap Heraclides (z.B. EP. Atlas, BIS) lehrentdeutlich- senuszdie Entsiehnns dieser grossen Scoriogonen oder Schlackenringe.:

In diesen Schlackenringen kann man folgende Beob- achtung machen. Die Alpen sind quer durchschnitten von einer tiefen Furche, welche als das »grosse Thal der Alpen« bezeichnet wird. Diese Furche ist etwa 130 km lang, hat streckenweise überaus steile, weit über 3000 m hohe, geradlinig abgeschnittene Wände und durchweg einen ebenen Boden. Sie

Ed M Q Einige Bemerkungen über den Mond. 39

beeinnt am Mare Imbrium, wo sie ihre grösste Breite von über 9 km besitzt und erstreckt sich mit regelmässig abnehmender Breite bis zum Mare Frigoris.

Man möchte zunächst an eine Grabenbildung zwischen geradlinigen Brüchen denken; das ist diese Furche nicht. Es zeigt dieses der ebene Boden des Thales und die ganze Structur der Mondoberfläche. Am deutlichsten aber erkennt man dies in der schönen letzten PW-Aufnahme der Alpen. Hier ist er- sichtlich, dass das Thal eine Strecke vor seinem westlichen Ende plötzlich eine Z-förmige oder bajonnetförmige Verschie- bung gegen Süd erfährt und dann erst, vielleicht sogar noch einmal verschoben, das Mare Frigoris erreicht. Diese Umstände, die Steilheit der geradlinigen Wände, der ebene Boden, die regelmässige Abnahme der Breite, die plötzliche Verschiebung lassen vermuthen, dass das ganze Schlackenfeld, ähnlich einer grossen Eisscholle, von Osten her quer zersprengt worden ist und dass beide Schollen horizontal gegen einander verschoben sind.

Minder deutlich zeigt eine ähnliche Erscheinung der süd- liche Theil des Caucasus. Wenn man auf der PW-Aufnahme dieses Gebietes die Gegend südwestlich von Theaetetus be- trachtet, gewinnt man den Eindruck, als ziehe ein geradliniger Querbruch gegen WSW gerade unter Calippus © hin und als sei eine grosse Scholle auch hier gegen West verschoben. Vielleicht ist noch eine ähnliche Linie im Norden und eine im Süden vorhanden, welche SSW streichen und mit der ersten spitze Winkel bilden. Hier vor Allem sind weitere Aufnahmen unter verschiedener Beleuchtung erwünscht.

Diese Vorkommnisse, welche in entfernter Weise an die Blattverschiebungen der irdischen Gebirge erinnern, setzen eine grössere Beweglichkeit der Unterlage voraus, welche auch nach dem, was hier über die grossen Schmelzherde gesagt wurde, nicht unwahrscheinlich ist.

Wenn ich die letzte Aufnahme des Apennin (PW) richtig verstehe, so ist in der Lücke am Ende dieses mächtigsten Walles an zwei Linien, welche nicht von Schlacken begleitet sind, das zweimalige offene Fliessen der Masse des Mare Serenitatis etwa von Linne her in der Richtung des Palus

20) E. Suess,

Putredinis erkennbar. Dies wären erstarrte freie Ränder der Lava und sie würden jünger sein ‘als die Ebene des Palus Putredinis.

IV. Das Mare Crisium, eine Ellipse von 570 und 450 km mit auffallend regelmässiger Umrandung (LW in Weinek, Astronom. Beobacht. Prag, 1893, und Public. Lick Observatory, 1894, III), bildet den Übergang von den grössten Aufschmel- zungsherden zu Ringen, wie Petavius, Alfonsus u. A., welche noch über 100%m erreichen, und welchen sich dann die kleineren Gestaltungen anschliessen.

Die Schlackenhülle, welche wir von nun an die lunare Lithosphäre nennen dürfen, ist mächtiger geworden. Die Auf- schmelzungsherde verringern ihre Durchmesser.

Die allgemeine Annahme, dass die Krater jünger seien, als die grossen Schlackenringe oder sogenannten Mare-Flächen, ist gewiss richtig, aber sie schliesst einzelne Ausnahmen nicht aus. So betont Ebert, dass an den Rändern der grossen Mareflächen deutliche Spuren von Überfluthungen seien; man sehe zuweilen das Innere von benachbarten Ringgebirgen von dem Materiale des Mare erfüllt, so Le Monnier am westlichen Rande des Mare Serenitatis und Fracastor am Mare Nectaris.!

Dass aber die übergrosse Zahl der heute bestehenden Krater jünger sei als die meisten Mare-Flächen, ist unzweifelhaft.

Jeder Versuch, die Bildung von Bergen wie Archimedes, Copernicus, Eratosthenes und ihresgleichen durch Aufschüt- tung eines Kegels von zerstäubtem und ausgeworfenem Mate- riale, etwa nach Art des Vesuv, zu erklären ist ganz ver- geblich. Die Versuche, welche z. B. noch von Nasmyth und Carpenter nach dieser Richtung gemacht worden sind, führen nicht zum Ziele. Die Gestalt der Mondberge selbst, die Art, wie z. B. Cyrillus auf Theophilus trifft, die Thatsache, dass ein Centralberg oft gar nicht vorhanden, zuweilen nicht in der Mitte liegt, dass ihrer zwei oder drei vorhanden sein können, dann die weite Entfernung zwischen dem Walle und dem sogenannten Centralberge entfernen jede solche Erklärungsweise; nur für

1 H. Ebert, Ein Vorlesungsversuch aus dem Gebiete der physikalischen Geogr. (Bildung der Schlammvulcane und der Mondringgebirge); Ann. Phys. Chem. 1890; Neue Folge, XLI, S. 359.

Einige Bemerkungen über den Mond. 41

Alpetragius und einige wenige andere Berge möchte noch ein Zweifel zuzugestehen sein.

Die Gestalt dieser Mondberge ist am deutlichsten aus der von Ebert veröffentlichten Tabelle der Abmessung von 92 der- selben erkennbar. Das Profil steigt von aussen langsam an, unter einem Winkel, welcher nach Ebert’s Schätzungen in 56 Fällen nicht mehr als 6°, in weiteren 24 Fällen nicht mehr als beträgt; nur 10 sind stsiler und erreichen 12°. Von Plato und Tycho ist abgesehen; sie bilden Ausnahmen und sind auch nach aussen steil.!

Fügen wir hinzu, dass der äussere Böschungswinkel des Mauna Loa zwischen 3°51 und 6°43 liegt, und dass die Dyngjur oder Lavakuppeln auf Island zum Theile noch ge- ringere Ziffern aufweisen.?

Die innere Böschung ist dagegen ausserordentlich steil; sie liegt in der Regel über 30, oft über 40°; für den hier bereits genannten Aristarch steigt sie sogar auf 55°.

Dabenliesit der Grunde des Kraters immer tier unter der mittleren Höhe der Umgebung. Nur in 9 von 92 Fällen beträgt diese Einsenkung unter die äussere Umgebung weniger als 00 m, in 19 Fällen 500— 1000 m, in 47 Fällen 1000—2000 m, in 15 Fällen 2000—3000 nz, in Maurolycus erreicht sie 3031 ız, in Theophilus 3411 m. Von der mittleren Kammhöhe des letzteren würde man 4678 m tief in den Krater hinabsehen. Der Radius des Kraters ist 102:7 km und aus demselben erhebt sich ein 2144 m hoher Centralberg. Von Werner würde man 4075 m, von Tycho 4612 m, von Simpelius 4630 m, von Maurolycus 4477 m tief den Blick senken müssen, um den Grund desKraters zu erreichen. Es muss allerdings zugegeben werden, dass die Bestimmung der Höhe der »Umgebung« eines unwillkommenen arbiträren Elementes nicht entbehrt, aber die ausserordentlich

1 H. Ebert, Über die Ringgebirge des Mondes. Sitzungsber. Phys. med. Soeiet. Erlangen, 1890, S. 171. Nahe neben Tycho stehen andere Krater, welche in seine äussere Böschung eingreifen.

2 Penck, Morphologie der Erdoberfläche, Il., S. 415. Aschenkegel auf dem Monde müssten noch viel steilere Abhänge als auf der Erde besitzen. Vergl. Becker, Geom. Forms of Volcanoes; Ann. Journ. Science, 1885, XXX, pP. 292.

42 BE. Suiess,

tiefe Einsenkung der Kraterböden unter ein mittleres Niveau der lunaren Oberfläche bleibt doch der bezeichnende Zug.

Jeder einzelne dieser Schlünde ist offenbar ein selb- ständiger Herd der Aufschmelzung. Von unten her wurde durch zuströmende Wärme die Lithosphäre aufgeschmolzen, endlich die Oberfläche erreicht, die Schlacke nicht nur zurückge- schoben, sondern, wenn ich nicht irre, in der Regel überflossen. Aus dem Innern aufsteigende elastische Gase werden auch hier den Vorgang veranlasst haben und ich sehe nicht, wie wir, von irdischen Vorkommnissen ausgehend, diesen Process ohne die Anwesenheit von Wasserdampf verstehen könnten. Mehrfach wird in einem solchen Schlund die Lava aufgestiegen sein, die eingeschlossenen Gase von sich gegeben und öfters den Krater- rand erreicht haben. Ein merkwürdiges Beispiel besteht, einzig in seiner Art, Wargentin, in welchem die Lavasäule erstarrt ist in der Höhe des Kraterrandes oder vielmehr irgend einer geringeren Bresche desselben, hoch über -der äusseren Um- gebung, ein Zeuge für die Richtigkeit dieser Vergleiche. Hieraus geht aber zugleich hervor, dass die Berechnungen, welche von ausgezeichneten Selenologen angestellt worden sind über das Verhältniss des cubischen Inhaltes des Walles zum Volum der Kraterhöhlung, für den Geologen nur sehr nebensächlichen Werth haben können. Der cubische Inhalt des Walles hängt ab von der Zahl und der Mächtigkeit der Überfluthungen. Die Tiefe des Schlundes hängt ab von dem leichteren und rascheren Entweichen der Gase, vielleicht sogar in einzelnen Fällen von seitlicher Drainirung der Lava durch einen Ausbruch an anderer Stelle Es sind sehr auffallende Beispiele von raschem und unerwartetem Sinken der Lavasäule in irdischen Vulcanen bekannt.

Verweilen wir ein wenig bei Theophilus. Drei grosse Krater, Catharina, Cyrillus und Theophilus, stehen knapp neben einander und Theophilus greift weit in den Krater des Cyrillus über. Solche gedrängte Stellung grosser Krater, welche mit ein- ander eine Gruppe zu bilden scheinen, findet sich wiederholt auf dem Monde. Warum, wenn bereits ein Krater wie Cyrillus - vorhanden war, dessen Kamm sich 3000 nz über den Boden des Kraters erhebt, wurde derselbe nicht weiter in Anspruch ge-

Einige Bemerkungen über den Mond. 43

nommen, sondern verlassen und ein neuer Riesenkrater daneben gebildet?

Die Antwort scheint mir gerade in den Dimensionen dieser tiefen Schlünde zu liegen. Die Erfahrungen auf der Erde lehren, dass die Isogeothermen in der Nähe der Oberfläche dieser ziemlich parallel gehen, und dass sie erst in grösserer Tiefe, sei es z.B. in 2000 m, vollen Parallelismus unter sich erreichen. Wenn nun ein solcher Schlund einmal zur völligen Erstarrung gelangt ist, greift unter demselben die Linie der gleichen Wärme des Himmelskörpers tiefer als in seiner Umgebung. Die Er- Sranrunes reicht hier wueiter in die Wiefe, und eine "wieder- erwachende vulcanische Thätigkeit, ein neues Zuströmen von Wärme findet den Angriffspunkt nicht mehr an dieser Stelle, sondern neben derselben. Ähnlich stehen Arzachel, Alfonsus, Ptolemaeus und manche andere. Kilauea und Mauna Loa lehren aber, dass auch benachbarte Vulcane gleichzeitig thätig sein können.!

Die Vorgänge in den Essen dieser Krater sind nach meiner Meinung dieselben, wie in der Coquille des Stahlwerkes. Hier wie dort sehen wir nur den letzten Vorgang, die Producte des letzten Sinkens der erstarrten Oberfläche in der Tiefe des Schlundes.? Es ist keine Nothwendigkeit, zu den scharfsinnigen Annahmen des Herrn Faye zu greifen, nach welchen lunare Gezeiten in diesen Schlünden die Lava bewegt hätten.? Der ursprüngliche Vergleich Dana’s zwischen diesen Kratern des Mondes und jenen von Hawaii scheint der richtige; nur hätte die Voraussetzung von der Einsickerung von Tagwässern zur Speisung des Wasserdampfes zu entfallen.“ Ob, wie Herr Prinz vermuthet, auch Kesselbrüche auf dem Monde vorhanden seien, müssen wir von weiteren Fortschritten in der photo-

1Prinz, S.26, vergleicht Maurolycus, Longomontanus und ihre Nachbarn mit den benachbarten Kesseln des Mokua-weo-weo, des Gipfelkraters des Mauna Loa.

2 Dasselbe sagt Reyer, Theoret. Geologie, S. 261, Anmerkung.

3 Faye, Comparaison de la Lune et de la Terre au point de vue geo- logique; Ann. du Bureau des Longitudes pour l’an 1881; p. 667— 754.

4 J. D. Dana, Characteristics of Volcanoes, 80, 1860, an mehreren Stellen.

44 Er Smess,

graphischen Aufnahme des Mondes lernen. Bekanntlich ist der Krater des Kilauea von zwei solchen Kesselbrüchen, dem Kilauea Iki und dem Keanakakoi, begleitet, und Mauna Loa zeigt Ähnliches. Ich will nicht behaupten, dass nicht z.B. bei Magirus oder Clavius und anderen der sogenannten Wallebenen Neison’s Unregelmässigkeiten des Umrisses eintreten, aber anderseits sieht man gerade auch in Clavius im Norden wie im Westen am Innenrande kleinere Krater, welche selbständige Wälle gegen die Tiefe des Clavius besitzen. An der Westseite des Maurolycus sieht man z.B. deutlich eine Bresche durch Absitzen des Kraterrandes, welche kein Kesselbruch ist, und solches Absitzen scheint häufig vorhanden zu sein. Der Mangel oder doch die grosse Seltenheit solcher seitlicher Kesselbrüche würde eher als ein Unterschied der Mondkrater von jenen des Hawaii-Typus hervorzuheben sein.

V. Von den durch Neison unterschiedenen Gruppen lunarer Gebilde sind, vorausgesetzt dass die bisher hier ver- suchten Vergleiche richtig sind, die als Mare, Palus und Lacus bezeichneten »Formationen« als grosse Aufschmelzungsherde anzusehen.

Alle bisher besprochenen Gebilde haben die folgenden Merkmale gemein:

l. den in der Regel kreisförmigen, selten elliptischen, noch seltener unregelmässig elliptischen Umriss,

2. einen sehr deutlich sichtbaren Wall, welcher aussen flach, wie durch Überguss gebildet, innen steil und zuweilen in unregelmässige Stufen getheilt ist,

3. einen wohl umgrenzten, ebenen oder leicht gewölbten Boden.

Nur auf diese Berge möchte ich den Namen Krater ein- schränken. Sie umfassen Neison’s Wallebenen, Bergringe, Ringebenen und Kraterebenen. Sie lassen sich nach Dana’s Vorgang mit den irdischen Vulcanen vom Hawaii-Iypus ver- gleichen und entfernen sich von denselben nur:

l. durch den noch weit grösseren Radius,

2. durch die tiefe Lage des Bodens unter dem mittleren Niveau der äusseren Umgebung,

3. durch die Seltenheit begleitender Kesselbrüche.

Einige Bemerkungen über den Mond. 45

Es ist auch Grund anzunehmen, dass die Laven dieser Krater ein weit geringeres specifisches Gewicht, als jene von Hawaii besitzen, welche spec. Gew. 3°3, folglich fast das volle Gewicht der Mondmasse zeigen und zu den schwersten Fels- arten unserer Erde gehören.

Die Oberfläche des Mondes besitzt aber noch mannigfaltige Gestaltungen, welche nach meiner Ansicht von den bisher er- wähnten gänzlich verschieden sind, und zum Theile innerhalb, zum Theile ausserhalb der Krater stehen.

Ptolemaeus zeigt (LW. und PW.) eine weite, im Ganzen ebene Lavafläche; in derselben liest gegen Nord, vereinzelt, der sogenannte »Krater A«, eine kreisrunde Öffnung auf einer rings abfallenden kegelförmigen Höhe. Knapp nördlich davon sieht man eine »tassenförmige« Vertiefung der Lavafläche.!

Das ist etwas ganz anderes, als die bisher betrachteten Krater. Nicht nur ist der Radius viel kleiner; die Kegelfläche ist anders gebaut, regelmässiger als die Kraterwälle, die Kante der Öffnung scheint scharf und ohne grössere Scharten zu sein; einen Boden kann man nicht erkennen. Auf einem irdischen Schlackenfelde würde man sagen, es sei eine grosse Dampfblase hier aus der Lava entwichen, und die tassenförmige Vertiefung würden wir als Nachsackung bezeichnen.

Zuweilen stehen zwei solche Öffnungen von ein wenig geringerem Durchmesser scharf getrennt knapp neben einander, wie Z.B. südöstlich von Archimedes nahe dem Rande des Mare Imbrium.

Zuweilen scheint es, als würden durch dasZusammentreten zweier Öffnungen wahre 8-Formen gebildet werden; ich weiss men ob ich nach Prinz, Pl. III Copernieus A und 4, hieher zählen darf und wäre eine genaue Angabe über die Trennung oder volle Vereinigung dieser beiden Öffnungen und ähnlicher Zwillingsbildungen erwünscht.

Am südwestlichen Rande von Albategnius, oben auf dem Walle in der Nähe von E scheint es sogar als würden drei Öffnungen zusammentreten.

1 Weinek, Anzeiger Akad. Wiss. Wien, 12. April 1894, S. 105.

46 E. Suess,

In anderen Gegenden, wie in Clavius, stehen solche Öff- nungen in grosser Zahl, doch getrennt, beisammen, und hier erscheinen auch neben ihnen wahre Krater mit breitem Walle, mit flachem Boden und Centralbergen.

Diese blasenähnlichen Öffnungen sind alle bisher als Krater bezeichnet worden, Neison nennt sie sogar »echte Krater«, aber ich bin nicht sicher, ob man ihnen diese Bezeich- nung geben sollte.

Man sieht ganz deutlich, wie an dem Ostrande von Alba- tegnius (P. W.) der grosse Krater A den Wall des Hauptkraters unterbricht. Bei Bildung von A muss ein Theil des Hauptwalles von Albategnius sei es durch Aufschmelzung, sei es durch Ausbruch zerstört worden sein. Der neue Wall von A greift in das Lavafeld des Kraterbodens von Albategnius hinein, und der Centralberg von A liegt dort, wo der Wall von Albategnius sich einst befand. Alle diese Krater aber, Albategnius wie der ge- nannte Krater A, oder Barocius und Barocius db, welche ganz dasselbe Verhältniss zeigen und überhaupt alle jene Gebilde, welche einen flachen Boden erkennen lassen, und von welchen gerade die kleineren am häufigsten sogenannte Centralberge zeigen, hinterlassen den Eindruck, als seien sie das Erzeug- niss einer länger dauernden vulcanischen Thätigkeit. Jeder der- selben hat einen selbstständigen Wall, zuweilen, wie wir eben sahen, auf den Lavaboden eines älteren Kraters aufgebaut, und dieser Wall mag wohl nicht ohne wiederholtes Überfliessen gebildet sein.

Die hier unterschiedenen blasenförmigen Öffnungen aber, als deren Typus ich Ptolemaeus A angeführt habe, deuten viel- mehr auf Entstehung durch eine einmalige Explosion. Dieser Eindruck würde wesentlicher gestärkt werden, wenn es erwiesen wäre, dass wahre Zwillinge oder gar Drillinge dieser Art ohne einen bis an die Mondoberfläche reichenden, trennenden Wall vorhanden seien.

Diese Öffnungen sind in sehr grosser Anzahl in vielen Theilen der Mondoberfläche vorhanden. Ihr Durchmesser mag bis 15 oder gar 18 km steigen. Ihr Rand ist stets auffallend scharf und ein wenig kegelförmig gleichsam aufgezogen, wie man das namentlich sieht, wo sie wie Maurolycus A in eine

er

Einige Bemerkungen über den Mond. 47

Ebene übergreifen.' Es scheint in einigen Fällen, als sei ein Rücken, ähnlich einem Lavastrom hervorgetreten.

Alle diese Erscheinungen bilden Aufgaben der weiteren Forschung. Es ist aber schon vor langer Zeit, z. B. schon von Humboldt und von Dana, erinnert worden, dass die Entwei- chung elastischer Dämpfe auf dem Monde unter ganz anderen Verhältnissen vor sich gehen mag, als auf der Erde. Das geringe Gewicht der Lavamasse, die Temperatur der Mondoberfläche, endlich der ausserordentliche Durchmesser einzelner Lava-Seen mussten Verhältnisse schaffen, welche von jenen der Erde wesentlich verschieden waren. k

Es wäre ein Fortschritt, wenn für diese Gruppe von Vor- kommnissen ein selbstständiger Name geschaffen würde.

Die sogenannten Centralberge der linearen Vulcane sind theils als Quellkuppen im Reyer’schen Sinne und theils als Spratzformen angesehen worden. Vielleicht trennen sich in der Natur diese beiden Vorkommnisse nicht so scharf, als zuweilen vermuthet wird.

Im Frühjahre 1891 hatte ich Gelegenheit mit einigen Freunden die Bildung eines Ausbruchskegels in der Mitte des Feuersees zu verfolgen, welcher im Inneren des damaligen so- genannten kleinen Vesuvkraters entstanden war.” Mitten in dem Feuersee stand ein kleiner Kegel über der Mündung der Esse.

Wir sahen deutlich die Lava in der Esse aufsteigend; kopfgrosse Blasen von Dampf entwichen und inZwischenräumen von je 6—8 Secunden erfolgte aus dem Kegel eine Explosion, bei welcher eine hohe Garbe von heissen Fladen von Lava aus- geworfen wurde. Viele derselben nahmen einen entfernteren Flug, andere fielen in den Feuersee oder auf den Kegel. Da- zwischen aber rieselten an der Aussenseite des Kegels kleine Bäche feuriger Lava herab, alle Schollen und Fladen verkittend. So ist dieser Kegel zugleich eine Spratzfigur gewesen und eine Überguss- oder Quellkuppe. Die Gestalt der Centralberge des Mondes scheint eine recht unregelmässige zu sein; auch Spratz-

! Ich erinnere an die Schilderung der Entstehung der Hornitos in Felix und Lenk, Beitr. zur Geol, und Pal. von Mexico, I, S. 29, 30. 2 G.v. Rath, Zeitschr. deutsch. Geol. Ges. 1871, S. 717, Taf. XVII.

48 E. Suess,

kegel bilden grosse unerwartete Rücken und Ausläufer; sie zeigen nicht immer Öffnungen an ihrem Scheitel, und die That- sache, dass auf der Höhe der Centralberge des Mondes grosse Öffnungen nicht sichtbar sind, ist nicht ein Argument gegen solche Entstehungsart.

Zu den zartesten Darstellungen, welche wir von Theilen des Mondes besitzen, gehören ohne Zweifel die LW-Bilder aus demKratergrunde von Capella und von Taruntius c, einer kleinen, dem Südwalle von Taruntius aufsitzenden Ausbruchstelle. Sie sind um so werthvoller, als sie dieselben Objecte in zweifacher Beleuchtung bieten. Capella zeigt mehr oder minder kreis- förmige Öffnungen, wie es scheint, kleineAusbruchsmündungen von 500m und darunter, an verschiedenen Stellen auf der Höhe der centralen Erhöhung, an ihrer Seite und zerstreut gegen den Rand hin. Dazwischen laufen feine Rillen. Ähnlich ist die Be- schaffenheit des Bodens von Taruntius c mit einer centralen Öffnung von etwa 250 m. So weit ist die Technik der Dar- stellung vorgeschritten. Diese Bilder mögen wohl Schlacken- feldern entsprechen, welche von einzelnen Eruptionscanälen durchbrochen sind.

VI. Obwohl es verständlich ist, dass Öffnungen, welche durch das Entweichen von Gasen gebildet werden, bis zu den kleinsten Dimensionen herabsinken können, haben doch die genauesten Kenner des Mondes, wie ich glaube mit Recht, eine Gruppe kleinerer Bildungen als »kleine Krater« und »Krater- gruben« abgeschieden. Ohne in Einzelheiten einzugehen, will ich erwähnen, dass auf dem Monde kleinere Vertiefungen mit undeutlichem oder fehlendem Walle und unkennbarem Grunde vorhanden sind, welche für den Geologen darum ein besonderes Interesse besitzen, weil sie in mehreren Fällen in un- zweifelhafter Weise mit Spalten in Verbindung sind. Sie verrathen hiedurch, dass sie nicht durch Aufschmel- zung entstanden und dass ihnen eine gewisse Verfestigung der lunaren Lithosphäre vorangegangen ist. An den Abhängen grosser Vulcane, wie des Aetna, ist es keine seltene Erscheinung,

1 Anzeiger Akad. Wiss. Wien, 6. Juli 1893, S. 185—180. Abbildung in Public. Lick Observ. 1894, III, p. 107.

Einige Bemerkungen über den Mond. 49

dass eine radiale Spalte sich öffnet und dass auf derselben während des Ausfliessens der Lava, zumeist von oben nach abwärts, zwei oder drei, wohl auch ein halbes Dutzend oder noch mehr sogenannte Adventiv-Krater gebildet werden. Diese sind es, welche den höheren Theilen des Aetna bei Sonnen- aufgang so grosse Ähnlichkeit mit dem Monde verleihen.

In den ersten Tagen des Monates September 1783 öffnete sich westlich vom Skaptar Jökull auf Island eine lange Spalte, und zwar nichtals Radialspalte eines Hauptkraters, sondern als ein Glied jenes Systems von Spalten, welches, einer bogenför- migen Senkung folgend, nach Thoroddsen's Beobachtungen quer durch ganz Island zieht. Diese Spalte ist geradlinig und verläuft von Nordost gegen Südwest. Helland hat sie genauer beschrieben. Da die Spalte den aus älteren vulcanischen Fels- arten bestehenden Berg Laki durchscheidet, nannte er sie die Laki-Spalte. Helland verfolgte sie auf die Länge von 20 km und hat auf dieser Strecke etwa 30 bemerkenswerthe Krater- kegel unterschieden, von denen allerdings der höchste nur 150m erreicht. Diese Kraterkegel sind durch Aufschüttung von Schlacke und Asche gebildet; aus ihren Öffnungen, sowie aus der Spalte selbst hat sich eine ungeheure Lavamasse ergossen.!

Seither hat Thoroddsen diese entlegene Gegend besucht; er verfolgte die Spalte aufetwa 30 km und fand, dass sie gegen NO unter den Eisfeldern des Skaptar Jökull verschwindet. Thoroddsen gibt, indem er kleinere Ausbruchstellen mit- rechnet, die Gesammtzahl derselben auf etwa ein Hundert an; die Menge der 1783 hervorgetretenen Lava schätzt er auf 12:3 km’.?

Die Oberfläche des Mondes enthält Bildungen, welche sehr an die Laki-Spalte erinnern; Jul. Schmidt pflegte sie als Krater- rillen zu bezeichnen. Unter den neueren Aufnahmen ist besonders jene (L W.) der Kraterrille bemerkenswerth, welche schräge an dem südlichen Fusse von Ptolemaeus hinzieht, und wenigstens

1 Am. Helland, Lakis Kratere og Lavaströmmen; Universit. Programm for 2. Sem. 1885; Kristiania, 1886.

2 Th. Thoroddsen, Reyse i Vester Skaptafells Syssel paa Island i Somm. 1893; Geogr. Tidskr. Kjöbenhavn, XII, 1893 —94, p. 167 u. folg. Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CIV. Bd., Abth. 1. 4

80 EB. Suess,

acht auf einer geraden Linie liegende Ausbruchstellen umfasst.! Eine andere Kraterrille mit mindestens sieben Ausbruchstellen von verschiedener Grösse zieht sonderbarer Weise schräge über den südöstlichen Wall von Albategnius (PW). Die Krater- rillen sind nicht eben selten.

Während die Verbindung mit Spalten ausser Zweifel steht, ist es mir für jetzt unbekannt, ob aufKraterrillen mit Bestimmt- heit Kegel bekannt, oder ob nur Trichter vorhanden sind. Hier liegt eine weitere Aufgabe für Beobachter. Es handelt sich darum zu entscheiden, ob, wie auf der isländischen Spalte, Auf- schüttung eingetreten ist, oder ob die lunaren Kraterrillen nur Durchbohrungs-Maare und jene Erscheinung bieten, welche Daubr&e in seinen ausgezeichneten Untersuchungen über explodirende Gase als »cönes d’arrachement« bezeichnet hat.?

Eine Anzahl anderer Öffnungen findet sich zwar gleichfalls in unzweifelhafter Verbindung mit Spalten, aber die Stellung zu denselben ist eine andere. Die Rillen zwischen Hyginus und Triesnecker, welche kürzlich von den Herren Loewy und Puiseux besprochen worden sind, zeigen kleine runde Gruben, welche für Explosionstrichter gehalten werden könnten, an den Punkten des Zusammentreffens solcher Linien.” Die schönen neuen PW-Darstellungen zeigen Hyginus selbst auf der grossen Hyginus-Rille, die gegen West wie gegen Ost Erweiterungen besitzt, welche entweder Explosionstrichter oder Abstürze in die Kluft oder durch Explosion veranlasste Ab- stürze sein dürften.

Es ist sehr auffallend, dass quer über die Ariadaeus-Kluft einige höhere Rücken ziehen (PW), von welchen einzelne von der Kluft durchschnitten zu sein scheinen, andere jedoch nicht; dies gilt namentlich von der Gegend südlich von der Scharte in Julius Caesar und bis gegen Silberschlag. Hier

1 Weinek, Anzeiger Akad. Wiss. Wien, 12. April 1894.

2 Daubre£e, Rech. exp. sur le Röle possible des Gaz a hautes tempera- tures, doues de tres fortes pressions, et animes d’un mouvement fort rapide dans divers Phenomenes geolog.; Bull. soc. geol. 1891, 3e ser., XIX, p. 313 bis 354; Comptes-rend. 24. Nov. 1890 u. folg.

3 Loewy et Puiseux, Etudes photogr. sur quelques portions de la surface lunaire; Comptes-rend., 26 Nov. 1894, p. 875— 880.

Einige Bemerkungen über den Mond. ol

ergäbe sich vielleicht die Möglichkeit, zu ermitteln, ob wirklich Lavaströme von grösserer Länge auf dem Monde geflossen sind.

VI. Der Zweck dieser Zeilen ist, wie anfangs erwähnt wurde, nur die Stellung einer Anzahl von Fragen und Auf- gaben, deren Lösung für eine genauere Vergleichung der Oberfläche des Mondes mit jener der Erde erwünscht wäre. Bei der Besprechung des Gegenstandes ist hervorgetreten, dass ausser dem Relief des Mondes auch die Färbung von Bedeutung ist, und dass zwei Gruppen kreisförmiger Öffnungen zu unter- scheiden sind, nämlich solche, die durch Aufschmelzung und andere, zumeist kleinere, welche durch Explosion entstanden zu sein scheinen.

Nun möchte ich folgende Wünsche aussprechen:

1. Einige Beobachter! erwähnen des Umstandes, dass die hellen Streifen, namentlich bei Tycho, auf Photographien eine Wirkung zeigen, welche von dem optischen Eindrucke verschieden ist. Bei den besonderen Schwierigkeiten und den vielen Zweifeln, welche gerade mit dieser Sache verbunden sind, würde es sich empfehlen, derselben Aufmerksamkeit zu widmen. Auch könnte man bei hoher Beleuchtung die photographische Wirkung von Stoffen, wie weisser Alaunerde aus der Solfatara, gebleichtem Trachyt von Olibano, dann lockeren weissen, weissgelben und hochgelben Schwefel- blumen, ferner von weisser Asche von Vulcano und von weissem Bimsstein vergleichen.

2. Der Bau des Alpenthales und insbesöndere seiner westlichen Hälfte ist von solcher Bedeutung für das Ver- ständniss der Beschaffenheit der grossen Schlackenfelder, dass der Ermittelung der Einzelheiten nicht genug Sorgfalt zuge- wendet werden kann. Hier müssen wir lernen, ob die Schollen eine gegenseitige Verschiebung erlitten haben.

3. Eine ebenso hohe Bedeutung für Fragen von anderer Art hat das Studium von Wargentin. Leider ist seine Lage eine ungünstige, aber gerade dieser Krater mit seinem während des Überfliessens erstarrten Lavasee bietet die Gelegenheit zu Beobachtungen, welche in keinem zweiten Falle möglich sind.

1 Z.B. Neison, Der Mond. Deutsche Auss., S. 299.

ou [&6)

BANSiUleSIsH

4. Zwischen den Aufschmelzungskratern mit flachem Boden einerseits und den kleinen Explosionsöffnungen ander- seits befinden sich zwei zweifelhafte Typen. Der eine, wie Alpetragius, scheint eine gewisse Ähnlichkeit mitder vesuvia- nischen Structur zu besitzen; eine genaue Ermittelung des Neigungswinkels, der Beschaffenheit der centralen Öffnung und anderer Einzelheiten ist erforderlich. Der zweite Typus umfasst die Öffnungen wie Ptolemaeus A, welche hier mit Blasen ver- glichen worden sind, und deren Grund in der Regel unbekannt ist. Hier wäre auf Zwillingsbildungen und auf die Art zu achten, wie in der Tiefe die Zwillinge sich trennen.

5. Die grosse Mehrzahl der auf Spalten stehenden Öffnungen scheint einen Wall kaum zu besitzen; es wäre von Bedeutung, zu wissen, ob nirgend ein etwas höherer Kegel über einer Spalte steht, d.h. ob Aufschüttung stattgefunden hat. Ebenso wäre auf den grösseren Spalten festzustellen, ob irgend ein Rücken wirklich ununterbrochen.in solcher Weise die Kluft durchquert, dass ein jüngerer Lavastrom angenommen werden könnte.

Wir befinden uns an der Schwelle; jede neue Aufnahme irgend eines Theiles des Mondes bringt neue Aufschlüsse und neue Fragen. Die Anwendung der verbesserten Methoden der Beobachtung hat kaum begonnen und dennoch ist ihre Be- deutung für die Erforschung der Erde bereits deutlich be- merkbar.

Die Frage, ob vulcanische Essen durch Aufschmelzung oder ob sie auf Dislocationen entstehen, hat in den letzten Jahren Discussionen hervorgerufen. Der Mond zeigt beide Entstehungsarten neben einander. Auch auf der Erde sind beide sichtbar. Wer aber von den thätigen Vulcanen zurück- schreitet zu jenen ausgedehnten Massen eruptiver Felsarten, welche die Abtragung der Gebirge blosslegt, wer.die Contact- höfe der Granitmassen, die Umrisse der letzteren und die sie umschwärmenden Apophysen betrachtet, mag sehen, in welchem ausgedehnten Masse Aufschmelzung von unten her innerhalb der äusseren Theile des Erdkörpers zu den verschiedensten Zeiten erfolgt ist, oft freilich ohne die Oberfläche zu erreichen. Die weiteren Fragen, ob solche Aufschmelzung durch Gebirgs-

.. .. h [9] Einige Bemerkungen über den Mond. 036)

faltung erleichtert, oder ob auf andere Weise entstandene Essen durch Aufschmelzung erweitert werden, und ob der erwähnte Lavasee im Adventivkrater des Vesuv von 1871 nicht ähnliche Erscheinungen bot, wie Kilauea, kommen für jetzt nicht in Betracht. Wohl aber darf man im Angesichte der aus- gedehnten granitischen Stöcke die Vermuthung wagen, dass in früheren Phasen der Erdgeschichte Aufschmelzung und auch Durchschmelzung der Lithosphäre häufiger vorgekommen sind, und dass mit der Verstärkung der Lithosphäre diese weiten Essen seltener, dafür Dislocationen, enge Essen und Explo- sionen häufiger geworden sind.

EineWanderung, welche ich nach gütigen Anweisungen des Herrn Dir. Credner, die kaum übertroffene geologische Karte Sachsens in der Hand, unter der Führung des Verfassers dieses Theiles der Karte, Dr. Beck, im Jahre 1893 in mehrere Granit- stöcke des Erzgebirges gemacht habe, hat mir deutlicher als je zuvor eingeprägt, einen wie geringen Bruchtheil der vulcani- schen Thätigkeit des Erdkörpers etwa Vesuv oder Ätna uns vorführen. Strenge würde zu scheiden sein: der Ausdruck »Batholith« für eine stock- oder schildförmige Durchschmel- zungsmasse, welche mit fortschreitender Abtragung entweder den Querschnitt hehauptet oder breiter wird, bis in die »ewige Teufe«, und der Ausdruck »Lakkolith« für einen seitlich ein- gedrungenen Kuchen, welcher mit der Abtragung zwar anfangs breiter werden mag, aber dann verschwindet.

Die Experimente des Herrn Prof. Reyer haben werthvolle Aufschlüsse über die mechanischen Vorgänge bei dem Auf- dringen einer eruptiven Felsart gegeben.! Die erweiterte Fassung, welche Herr Michel Levy diesen Resultaten gab, indem er die Aufschmelzung der Salbänder gleichzeitig zur Geltung brachte, bezeichnet einen wesentlichen Fortschritt.” Vielleicht mag auch das Studium des Mondes dazu beitragen, um uns schrittweise zu einer immer genaueren Erkenntniss der Sachlage zu führen.

1 E.Reyer, Geolog. und geograph. Experimente; Il. Heft: Vulcanische und Massen-Eruptionen; 8°, Leipzig, 1892.

2 Michel-Levy, Contrib. a l’Etude du Granite de Flamanville; Bullet. du Service de la Carte Geol. de France; 1895, V, p. 39.

4 E. Suess, Einige Bemerkungen über den Mond.

Dann erst wird es möglich sein, auf der Erde und dem Monde die gleichen Phasen vulcanischer Thätigkeit genauer zu erkennen. Diese Phasen werden wahrscheinlich in einander übergreifen, d.h. Typen einer früheren Phase werden in einer späteren, wenn auch seltener, erscheinen. Nur in diesem Sinne können folgende Phasen und Beispiele angeführt werden:

1. Aufschmelzung grosser Flächen (Mare Serenitatis; un- sichtbar auf der Erde).

2a. Aufschmelzung ohne Erreichung der Oberfläche (Batholithen; Granite des Erzgebirges; nicht kennbar auf dem Monde).

2 b. Aufschmelzen von Herden von kleinerem Durch- messer; ruhiges Wallen der Lava (Hawaii, Ptolemaeus, War- gentin).

3. Spaltenbildung, engere Essen, rhapsodische Explosion (Laki-Spalte, Vesuv, Durchbohrungsmaare der Eifel, Krater- rillen, Hyginus). |

Endlich als örtliche Folge einzelner Ausbrüche die ein- zelnen Phasen der Fumarolen, auf der Erde bei 25 und einem Theile von 3, auf dem Monde mir bisher nur vermuthungsweise und nur bei 25 bekannt.

Im Grossen stellen diese Phasen zugleich die fortschreitende Verstärkung der tellurischen wie der lunaren Lithosphäre dar.

[Ol ON

Anatomisch - physiologische Untersuchungen über das tropische Laubblatt.

II. Über wassersecernirende und -absorbirende Organe

(II. Abhandlung) von Prof. Dr. G. Haberlandt in Graz. (Mit 4 Tafeln.)

(Vorgelegt in der Sitzung am 10. Jänner 1395.)

Im vorliegenden zweiten Theile! dieser Untersuchung sollen zunächst diemit Gefässbündelenden in Verbindung stehenden Hydathoden besprochen werden. Es kommen hierbei zwei Haupttypen in Betracht, nämlich die spaltöffnungs- losen Hydathoden vieler Farnblätter und die mit Wasser- spalten und meistens auch mit Epithemgewebe versehenen Hydathoden so vieler phanerogamer Gewächse.

D. Die Hydathoden der Farnblätter.

Bei vielen Farnen (Polypodium-, Aspidium-, Nephrolepis- Arten etc.) treten bekanntlich auf den Blattoberseiten über den Gefässbündelendigungen mehr oder minder seichte Grübchen auf, in welchen Wassertropfen ausgeschieden werden. Bei manchen Arten (z. B. bei Polypodium nigrescens) trifft man diese Hydathoden über die ganze Blattoberseite gleichmässig zerstreut an, bei anderen Arten (zZ. B. Polypodium aureum) kommen sie hauptsächlich längs der Blattränder, eine continuir- liche Reihe bildend, vor.

I Vergl. diese Sitzungsber., Bd. CIII, Abth. I, Juni 1894.

96 G. Haberlandt,

Ihren anatomischen Bau habe ich namentlich bei Poly- podium aurenm genauer studirt.

Das kolbig angeschwollene, verbreiterte Gefässbündelende liegt hier, wie in den meisten Fällen, unmittelbar unter der drüsig ausgebildeten Epidermis (Taf. IV, Fig. 1). Es besteht hauptsächlich aus Tracheiden, deren Wände mit breit spalten- förmigen Tüpfeln versehen sind; dazwischen treten plasma- reiche, grosskernige Parenchymzellen auf, allerdings in spär- licher Anzahl und meist auf der Oberseite des Bündels. Auf der Unterseite desselben lässt sich ein stark reducirter Leptomtheil wahrnehmen, von dem ich es dahingestellt sein lasse, ob er noch englumige Siebröhren enthält, oder bloss aus Cambiformzellen, respective Leptomparenchymzellen besteht.! Das ganze Bündel- ende wird von einer Endodermis umscheidet, welche oberseits direct an die epidermale Drüsenzelllage grenzt. Ihre radialen Wände sind mit einem breiten cutinisirten Bande versehen, die tangentialen Wände sind unverkorkt. Die an die Endodermis angrenzenden Parenchymzellwände sind mit Ausnahme zweier seitlicher Durchlassstellen ziemlich stark verdickt. Nach innen zu grenzt an die Endodermis eine aus tangential stark abge- platteten, plasmareichen Zellen bestehende Parenchymzelllage (Strasburger’s »inneres Phloeoterma«), deren genetische Zu- sammengehörigkeit mit der Endodermis auch noch im ausge- bildeten Zustande sofort erkennbar ist.

Dieses Bündelende wird nun von der epidermalen, wasser- ausscheidenden Drüsenzellschicht bedeckt. Die Form ihrer Zellen weicht von jener der angrenzenden typischen Epidermis- zellen sehr ab. Sie sind von prismatischer Gestalt, ungefähr 1'/,-mal so hoch als breit, mit zarten Seiten- und Innenwänden versehen, wogegen die Innenwände der Epidermiszellen sehr stark verdickt und getüpfelt sind (Taf. IV, Fig. 1, 2). Auch die Aussenwände der Drüsenzellschicht sind bedeutend dünner als jene der Epidermiszellen. Nach Behandlung mit Jod-Jod-

1 Nach G. Poirault (Recherches anatomiques sur les Cryptogames vas- ceulaires, Annales des sciences nat. Bot. T. XVII, p. 113 ff. 1893) sollen die Gefässbündelenden der Farnblätter noch Siebröhren enthalten. Vergl. auch

Strasburger, »Über den Bau und die Verrichtungen der Leitungsbahnen in den Pflanzen«. Jena 1891, S. 451 ft.

Das tropische Laubblatt. oy7

kalium und Schwefelsäure färben sich die Aussenwände der Epidermis bis auf die Cuticula schön blau, während jene der Drüsenzellen, wenn sie auch ebenso rasch verquellen, nur eine ganz schwache, bläuliche Färbung annehmen. Auch die Drüsen- zellschicht ist von einer zwar zarten, doch wohlausgebildeten, in Schwefelsäure unlöslichen Cuticula überzogen.

Die Drüsenzellen zeichnen sich gegenüber den ängrenzen- den Epidermiszellen durch ihren grossen Plasmareichthum aus; die Zellkerne, welche bedeutend grösser sind, als jene der Boideimisı lesen ım unteren heile der’ Zellen, ohne’ den Innenwänden ganz anzuliegen (Taf. IV, Fig. 2). Sie sind von kleinen, rundlichen Leukoplasten umlagert, die Stärkekörnchen enthalten. Erstere sind nicht vollkommen farblos, sondern zeigen eine blassgelbliche Färbung.

Im Buitenzorger botanischen Garten gehört die Wasser- ausscheidung seitens der Blätter verschiedener Farne zu den auffallendsten und schönsten Erscheinungen dieser Art. Grosse Tropfen sitzen frühmorgens in gleichen Abständen längs der Blattränder oder vertheilen sich gleichmässig über die ganze Blattoberseite. Einen Druckversuch habe ich erst im Grazer botanischen Institute durchgeführt; es wurde dazu die Blatt- fieder eines schon ausgewachsenen, aber noch jüngeren Blattes von Polypodium aureum verwendet. Die Hydathoden wurden auf einer Seite der Fieder durch Bepinseln mit sublimathältigem Alkohol vergiftet. Die Höhe der Quecksilbersäule betrug 28 cm. Narchr222Sunden traten übers ammplichene nieht szeir- gifteten Hydathoden stecknadelkopfgrosse Wasser- tropfen auf, während die vergifteten, die eine bräun- liche Färbung zeigten, vollkommen trocken blieben. Daraus geht also hervor, dass auch bei diesem Typus der Hydathoden die Wasserausscheidung kein einfacher Filtrations- process ist, sondern auf activer Wasserauspressung seitens der epidermalen Drüsenzelllage beruht, welche das Bündelende bedeckt.

E. Hydathoden mit Epithemen und Wasserspalten.

Nach den bisher mitgetheilten Beobachtungen und Er- fahrungen war es eine naheliegende Vermuthung, dass auch

98 G. Haberlandt,

die Wasserausscheidung durch Wasserspalten mit typisch aus- gebildeten Epıthemen über den Gefässbündelenden kein ein- facher Filtrationsprocess sei, dass vielmehr das sogenannte Epithem, dessen Function bisher räthselhaft geblieben war, als vielzellige innere Wasserdrüse fungire und so wie die ein- zelligen Hydathoden von Gonocaryum und Anamirta, wie die Keulenhaare von Phaseolus multiflorus etc., activ Wasser aus- presse. Der Unterschied gegenüber den »äusseren Wasser- drüsen« bestünde bloss darin, dass die Zellen des Epithems das Wasser nicht direct nach aussen, sondern in das zwischen ihnen befindliche Intercellularsystem pressen, von wo aus es dann durch die Wasserspalten seinen Weg nach aussen findet. Diese Vermuthung wurde durch die Untersuchungen, welche ich in Buitenzorg über die Hydathoden von Conocephalus- Arten und einer Ficus-Art anstellte, bestätigt. Fortgesetzte Untersuchungen mit anderen Pflanzen, speciell mit Fuchsia, lehrten aber, dass das für Conocephalus und Ficnus erhaltene Resultat nicht zu verallgemeinern ist.

Conocephalus ovatus Trec.

Die Arten der zu den Moraceen gehörigen Gattung Cono- cephalus sind in Ostindien und im malayischen Archipel einheimische Lianen mit grossen, lederartigen, ungetheilten Blättern. Conocephalus ovatus Trec. (C. suaveolens var. ovatus Mig.)! kommt nach Miquel auf Java und Luzon vor; ich habe diese oder eine nahe verwandte Art in der Schlucht des Tjiapus auf dem Salak bei Buitenzorg angetroffen. Zu meinen Unter- suchungen und Experimenten benützte ich die im Lianen- quartier des Buitenzorger Gartens vortrefflich gedeihenden Exemplare dieses interessanten Kletterstrauches.

Bei keiner anderen Pflanze war die nächtliche Wasseraus- scheidung seitens der Hydathoden so constant und schön zu beobachten, wie bei der in Rede stehenden Liane. An jedem Morgen traten auf den Blattoberseiten in ziemlich regelmässiger Vertheilung zahlreiche grosse Wassertropfen auf, die, wenn man an dem Stamme zerrte, gleich einem Regenschauer auf

1 Vergl. Fr. A. G. Miquel, Flora Indiae batavae, I. B., 2. Theil, S. 284.

Das tropische Laubblatt. 9

den Beobachter herabfielen. Schon mit freiem Auge liess sich constatiren, dass die Tropfen über kleinen Grübchen sitzen, worunter man bei mikroskopischer Betrachtung die scharf- differencirten Epithem-Hydathoden findet.

Bevor ich nun zur näheren Beschreibung dieser Wasser- ausscheidungsorgane übergehe, habe ich mit einigen Worten den Bau der Blätter zu skizziren. Auf der Oberseite des Blattes tritt unter der flachzelligen Epidermis ein zweischichtiges Wassergewebe auf, dessen obere Lage aus mehr flachen Zellen besteht, während die Zellen der unteren Lage ungefähr doppelt so hoch als breit sind. In dieser Schicht treten sehr grosse, gegen das Palissadengewebe zu vorgewölbte Schleimzellen mit einseitig verdickten (und verschleimten) Wänden auf. Auch zweischenkelige Cystolithen kommen in dieser Zelllage vor, doch sind sie noch häufiger in tangential ungetheilt bleibenden Epidermiszellen, und zwar auf beiden Blattseiten, enthalten. Aufdas Wassergewebe folgt das aus zwei Schichten bestehende, typisch ausgebildete Palissadengewebe, worunter sich noch das 5—6-schichtige Schwammparenchym befindet, dessen Zellen meist so aufeinandergefügt sind, dass die Intercellularräume senkrecht zur Blattfläche orientirte weite Canäle bilden. Die unterseitigen Epidermiszellen sind in der Regel tangential getheilt, so dass es zur Bildung eines einschichtigen, ziemlich ungleich hohen Wassergewebes kommt, welches dem ober- seitigen Wassergewebe gegenüber allerdings stark zurücktritt.

Die dick scheibenförmigen, nach innen zu mehr minder verbreiterten Epitheme der Hydathoden liegen stets über Knotenpunkten des Gefässbündelnetzes, oder stellen, besser gesagt, selbst solche Punkte vor, indem meist 1—3 etwas stärkere und ausserdem stets auch mehrere ganz zarte Gefäss- bündel, respective Tracheidenbündel in das Epithem hinein- münden und in demselben enden.

Nur selten kommt es vor, dass sich ein stärkeres Leit- bündel unter dem Epithem weitererstreckt und bloss ein kleines Büschel von Tracheiden in das genannte Gewebe eintreten lässt.‘

1 Ganz ähnliche topographische Beziehungen der Epithemgruppen zum Gefässbündelnetz beschreibt de Bary für die Blätter verschiedener Ficus-Arten. (Vergl. Anatomie, S. 392.)

60 G. Haberlandt,

So repräsentirt also jedes Epithem, beziehungsweise jede Hydathode die gemeinschaftliche Endstation mehrerer grösserer und kleinerer Auszweigungen des Wasserleitungssystems. Die Anzahl dieser Organe beträgt durchschnittlich 4—5 pro Quadrat- centimeter, so dass die gesammte Blattoberseite mehrere Hun- dert trägt.

Das Gewebe des Epithems zeichnet sich durch seine auf- fallende Kleinzelligkeit und scharfe Differencirung gegenüber dem angrenzenden Blattgewebe aus (Taf. I, Fig. 1). Mit Rück- sicht auf die Gestalt seiner Zellen und die Anordnung der Inter- cellularräume erinnert es lebhaft an typisches Schwammparen- chym (Fig. 2). Es ist farblos, doch besitzen seine Zellen nicht bloss einen »wässerigen Inhalt«; nach geeigneter Fixirung und Färbung erkennt man die Plasmakörper und verhältnissmässig sehr grossen Zellkerne der Epithemzellen auf den ersten Blick und nun tritt der drüsige Charakter im histologischen Bau des ganzen Gewebes sehr deutlich hervor. Besonders intensive Kernfärbung erzielte ich mit Böhmer’s Hämatoxylinlösung. Die runden Kerne sind ebenso gross, wie jene der angrenzen- den Palissadenzellen, obgleich diese letzteren ein 15—20-fach so grosses Volumen besitzen, wie die Zellen des Epithems. Mit Ausnahme der obersten Zelllagen sind die Wände dieses Gewebes verholzt, wie die Rothfärbung bei Behandlung mit Phlorogluein und Salzsäure deutlich erkennen lässt.

Die Tracheiden der in die Hydathode einmündenden Ge- fässbündelzweige enden theils direct zwischen den typischen Epithemzellen, theils schieben sich längsgestreckte, zarte-glatt- wandige Elemente zwischen sie ein, welche dann allmälig in das kleinzellige Gewebe des Epithems übergehen.!

Nach unten zu, wie an den Seiten, wird das Epithem von einer parenchymatischen Scheide lückenlos eingehüllt, so dass das Intercellularsystem des genannten Gewebes mit dem Durchlüftungssystem des Assimilationsgewebes nicht in Ver- bindung steht. Überdies sind die direct an das Epithem grenzen- den Innenwände dieser Parenchymscheide, namentlich gegen die Oberseite zu, verkorkt, beziehungsweise unlöslich in

yeyal, de Barry, I. ©, d& Soll.

Das tropische Laubblatt. 61

Schwefelsäure. Wie aus Fig. | hervorgeht, erweist sich die parenchymatische Epithemscheide als unmittelbare Fortsetzung der Leitparenchymscheide des starken Gefässbündels, das in das Epithem eintritt. Ob daraus die naheliegende Folgerung abzuleiten ist, dass das Epithem in morphologischer Hin- sicht zum Gefässbündel gehört, aus Elementen desselben phylogenetisch hervorgegangen ist, lasse ich dahingestellt. (In anderen Fällen, so zZ. B. bei Tropaeolum majus, ist dagegen das Epithem jedenfalls aus dem Assimilationsgewebe hervor- gegangen).

Was schliesslich die das Epithem bedeckende Epidermis betrifit, so ist dieselbe, abgesehen von den Randpartien, wo noch tangentiale Theilungen eintreten, bloss einschichtig, plasmareich, relativ grosskernig und mit sehr zarten, vorge- wölbten Aussenwandungen versehen, so dass die Annahme naheliegt, dass auch sie an der Wassersecretion betheiligt ist. Die Wasserspalten, welche die Fähigkeit, sich zu schliessen, verloren haben, sind etwas eingesenkt und besitzen hohe, doch schmale Schliesszellen, die bloss mit äusseren Cuticularleisten versehen sind (Taf. I, Fig. 3 und 4). Jede Hydathode besitzt 30—40 Wasserspalten, die ziemlich gleichmässig vertheilt sind und nur am Rande etwas dichter angeordnet erscheinen.

Die Menge des von diesen Wasserausscheidungsorganen in einer Nacht secernirten Wassers ist, wie schon oben erwähnt wurde, eine seht beträchtliche. Ein ausgewachsenes, mit grossen, isolirten Wassertropfen bedecktes Blatt wurde morgens 7 Uhr vorsichtig abgeschnitten, ins Laboratorium gebracht und

gewogen. Sein Gewicht betrug 13:02 g, nach sorgfältiger Ab- | trocknung 10'268. Das Blatt hatte also in einer Nacht 2'768 Wasser ausgeschieden, d. h. 26°/, seines eigenen Gewichtes.!

1 In einer von Unger (diese Sitzungsberichte, Bd. 25, 1858, S. 441 ff.) mitgetheilten Versuchsreihe schieden sechs ausgewachsene Blätter von Richardıa aethiopica in 11 Tagen 26°5 g Flüssigkeit aus; in einer zweiten Ver- suchsreihe secernirten vier Blätter in 10 Tagen 36 g. Die ausgeschiedene, Flüs- sigkeitsmenge betrug demnach bloss 0°4, respective 0°9 g pro Blatt und Tag. Dagegen betrug nach Duchartre (ecitirt bei Pfeffer, Pflanzenphysiologie, I, S. 175) die von Colocasia anliguorum in einer Nacht gesammelte Flüssigkeit

22:62.

62 G. Haberlandt,

Herr Dr.vanRomburgh,Vorstand des agriculturchemischen Laboratoriums des Buitenzorger Institutes, war so gütig, auf mein Ersuchen hin eine quantitative Bestimmung des Gehaltes der von den Blättern von Conocephalus ovatus ausgeschiedenen Flüssigkeit an festen Bestandtheilen, sowie den Aschengehalt zu bestimmen; 17:88 des von mir gesammelten, nur ganz schwach trüben Secretes gaben bei 100° C. einen Rückstand von 0:008 8, d. i. 0:045°/,. Nach dem Glühen blieben 3-5 mg, d. i. 0:02°%, Asche zurück.! Beim Einäschern machte sich ein Geruch nach verbranntem Zucker bemerklich, was auf das Vorhandensein organischer Salze schliessen lässt. Die Feh- ling’sche Flüssigkeit wurde durch das Secret nicht reducirt, auch nicht nach Behandlung mit Salzsäure.

Jedenfalls geht daraus so viel hervor, dass die von den Blättern allnächtlich ausgeschiedene Flüssigkeitsmenge keine. nennenswerthen Mengen von stickstofflosen oder stickstoff- hältigen Endproducten des Stoffwechsels enthält. Es handelt sich der Pflanze bei der Secretion wirklich bloss um Entfernung des durch den Wurzeldruck emporgepressten Wassers.

Um zu prüfen, ob die Epitheme der Hydathoden von Cono- cephalus das Wasser bloss zufolge geringen Filtrationswider- standes hindurchtreten lassen, oder ob sie dasselbe als Wasser- drüsen activ hervorpressen, wurden in gleicher Weise, wie dies bereits im I. Theile dieser Abhandlung beschrieben wurde, Vergiftungsversuche mit sublimathältigem Alkohol durch- geführt.

Am 12. Jänner 1892 wurde mit dieser Versuchsreihe be- gonnen, die erst Mitte Februar ihren Abschluss fand. Gewöhn- lich bepinselte ich um die Mittagszeit herum, vor Beginn der nachmittägigen Gewitterregen die betreffenden Blätter auf ihrer Oberseite mit der 0:1°/,igen alkoholischen Sublimatlösung, und zwar zumeist bloss die eine Blatthälfte, um die andere intacte Hälfte als Controlobject beobachten zu können. Die

.„l Ganz ähnliche Zahlen gibt Unger (l. ce. S. 126) für Zea Mavys an. Die von den Blättern ausgeschiedene Flüssigkeit enthielt 0°05°/, fixe Bestandtheile und 0:027%/, Asche. Die von Colocasia antiguorum secernirte Flüssigkeit ent- hielt 0°056°), feste Bestandtheile und bloss 0'008, Asche. Für Brassica cretica wurden 0 10/, feste Bestandtheile und 0°042%/, Asche ermittelt.

Das tropische Laubblatt. 63

Versuchsblätter blieben stets im Verbande mit der ganzen Pflanze; die Versuche wurden nämlich im Freien auf dem den Conocephalus-Arten im Lianenquartier des botanischen Gartens zugewiesenen Standorte durchgeführt. Die Versuchsblätter waren also stets dem normalen Wurzeldruck unterworfen, was die Beweiskräftigkeit der Versuchsergebnisse nur erhöhen kann. Versuche mit abgeschnittenen Blättern unter Anwendung von Quecksilberdruck lassen sich bei dieser Pflanze aus dem Grunde nicht anstellen, weil aus den auch im Blattstiele reich- lich vorhandenen Schleimzellen so viel Schleim austritt, dass durch denselben die angeschnittenen 'Tracheen alsbald verstopft werden.

In den meisten Fällen blieben die mit der alkoholischen Sublimatlösung bepinselten Blatthälften vollkommen frisch, grün und gesund; bloss die Epitheme der Hydathoden wurden getödtet, was sich bei Betrachtung mit der Loupe durch ihre Braunfärbung zu erkennen gab. Am nächsten Morgen zeigte sich dann jedesmal dieselbe auffallende Erscheinung: Die be- pinselte Blatthälfte war ober- und unterseits voll- Kom ene Brocken nwännend die, imtaeterklälfte Tober- Seien normalen \Meiser mit Snossen,. ausgeschie- denen Wassertropfen bedeckt war. Dafür trat in der Rep sie BemsBllachaltker seine ont, sehn weit nehende Iaesestonsder Durchlüftunessaume mit Wasser sein, nelehnesimeder.simpaeten Klältte nur an sanz verein. Zeven SBellllensszulnbreoblachten mar, Dier Injection der Blattintercellularen mit Wasser war übrigens von keinem dauernden Schaden begleitet. Im Laufe des Vormittags, wenn die Blätter stärker zu transpiriren begannen, verschwand die- selbe allmälig, um sich am nächsten Morgen, bei abermals aus- bleibender Wasserausscheidung, von Neuem einzustellen.

Das Ergebniss dieser wiederholt durchgeführten Ver- giftungsversuche lässt also keinen Zweifel darüber aufkommen dass die Epitheme der Hydathoden von Conocephalus in der That als Wasserdrüsen fungiren, dass siedas BVassersaretiv auspressen "und. nieht etwa. zufolge es eermsen Kiliwatiomswiderstandes durchtretien lassen. Denn dieser letztere könnte durch das Absterben des

64 G. Haberlandt,

Epithems nur verringert, unmöglich aber so beträchtlich erhöht werden, dass die Druckfiltration ganz unterbleibt.

Die Laubblätter von Conocephalus, deren Hydathoden durch Bepinseln mit alkoholischer Sublimatlösung getödtet wurden, reagirten auf diesen Eingriff nach einigen Tagen noch auf eine andere, höchst merkwürdige Art. Auf den bepinselten Blatthälften entstanden nämlich zum Ersatze der vergifteten Hydathoden ganz neue Waässerausschei- dungsorgane von wesentlich anderem histologischen Bau, wie sie im normalen Entwicklungsgange der Biillan'ze nie mialsmanıfereien:

Am dritten bis vierten Tage nach Beginn des Versuches waren an zahlreichen Stellen über den Gefässbündeln kleine Knötchen zu beobachten, die sich alsbald zu stecknadelkopf- grossen, weissen Protuberanzen entwickelten. Ihr Aussehen erinnerte lebhaft an die an submersen Zweigen (zZ. B. von Sam- bucus) auftretenden Lenticellen, deren weisses Füllgewebe oft weit heraustritt. Uber diesen endogen entstandenen Adventiv- organen, die in sehr grosser Zahl gebildet wurden und dem betreffenden Blatte ein sehr eigenthümliches Aussehen ver- liehen, traten nun an jedem Morgen ziemlich grosse Wasser- tropfen auf; das Blatt nahm die durch die Vergiftung der ur- sprünglichen Hydathoden unterbrochene Wasserausscheidung wieder auf und dementsprechend unterblieb nun auch die In- jection der Intercellularräume des Mesophylis mit Wasser. Die neugebildeten Organe waren also vollkommen im Stande, die getödteten Epithem-Hydathoden in ihrer Function zu ersetzen.

Die entwicklungsgeschichtliche Untersuchung lehrte, dass die adventiven Hydathoden nicht an beliebigen Stellen oberhalb des Gefässbündelnetzes entstehen, sondern nur dort, wo sich auf dem noch jungen, unausgewachsenen Blatte Gruppen von eigenthümlichen Drüsenhaaren befunden haben, welche am aus- gewachsenen Blatte vertrocknet sind (Taf. I, Fig. 5). Jede solche Gruppe besteht aus 10—15 Haaren, von denen jedes eine plasmareiche Fusszelle, einen kurzen Stiel und ein un- regelmässig geformtes, 3—6-zelliges Köpfchen besitzt. Die Cuticula dieses letzteren wird durch ein schleimiges, homogenes Secret, das sich mit Methylviolett intensiv färbt, blasig abge-

Das tropische Laubblatt. 69

hoben. Schliesslich ergiesst sich der Schleim aus einem Riss der Cuticula auf die Oberfläche des Blattes. Niemals habe ich über diesen Drüsengruppen Tropfenausscheidung beobachtet, auch nicht an jungen Blättern; offenbar hat man sie bloss als Colleteren zu betrachten, worauf ja auch ihr ganzer Bau und ihre Schleimsecretion hinweist.

Unter diesen längst abgestorbenen Schleimdrüsen ent- stehen endogen die adventiven Hydathoden. Hauptsächlich sind es die Leitparenchymzellen, welche das Gefässbündel um- scheiden (Fig. 6, 7), dann aber auch die darüberbefindlichen Palissadenzellen (Fig. 8) und am Rande auch Wasserge- webszellen (Fig. 9), welche zu langen, wurzelhaarähnlichen Schläuchen auswachsen, das darüber befindliche Wasserge- webe sammt der Epidermis durchbrechen und nun jene weissen pinselförmigen Protuberanzen bilden, als die sie dem unbe- waffneten Auge erscheinen. Die an ihren Enden nicht selten keulig angeschwollenen Schlauchzellen besitzen einen farb- losen Plasmabelag mit rundlichem Zellkern. Die Chlorophyll- körner der zu Schläuchen auswachsenden Palissadenzellen degeneriren gewöhnlich schon vorher, oder bleiben höchstens in den unteren Theilen der Schläuche erhalten, die sich durch Querwände von den farblosen oberen Theilen abtrennen. Über- haupt treten in der basalen Partie des ganzen Organs ziemlich häufige Quer- und auch Längstheilungen auf.

Wenn an der Bildung dieser Organe in erster Linie die Leitparenchymscheiden der Gefässbündel betheiligt sind und dies ist der häufigste Fall, so ist der unmittelbare Anschluss an das Wasserleitungssystem von selbst gegeben. Aber auch dann, wenn die das Wasser ausscheidenden Schlauchzellen bloss aus Wassergewebszellen hervorgehen, zeigen die darunter be- findlichen, direct an die parenchymatische Scheide grenzenden Palissadenzellen ein beträchtliches Wachsthum und werden zu farblosen oder wenigstens sehr chlorophyllarmen Schläuchen, die die Verbindung mit dem Leitbündel herstellen (Fig. 9).

So zweckmässig die soeben besprochenen Adventiv- Organe gebaut sind und so vollkommen sie auch die vergifteten Epithem-Hydathoden zu ersetzen vermögen, so erweisen sie sich doch selbst in einem so feuchten Klima wie das von West-

Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CIV. Bd., Abth. I. 5

66 G. Haberlandt,

Java, speciell von Buitenzorg, als zu empfindliche Organe, welche namentlich gegen Austrocknung zu wenig geschützt sind. Nachdem sie ungefähr eine Woche. lang allnächtlich Wasser ausgeschieden haben, gehen sie allmälig zu Grunde augenscheinlich durch Vertrocknung die sich bräunenden Schlauchzellen collabiren, und an der Basis des Organs wird durch Auftreten zahlreicher tangentialer Theilungen die Bildung von Wundkork eingeleitet.

Mit dem Zugrundegehen der zarten Adventiv-Hydathoden gibt aber das Blatt den Kampf gegen die Wirkungen des starken Wurzeldruckes noch nicht auf. Da es das überschüssige Wasser nicht mehr ausscheiden kann, so hilft es sich durch Erweiterung seines Inundationsgebietes, d.h. es bildet auf seiner Unterseite durch Wucherungen der Epidermis und namentlich der darunter befindlichen Wasserge- websschicht zahlreiche ein- und mehrzellige Wasser- blasen aus, welche mit freiem Auge betrachtet an die gleich- namigen Organe der Blätter und Stengel von Mesembryan- themum crystallinum erinnern. Gewöhnlich beginnt diese Er- weiterung des unterseitigen Wasserreservoirs mit einer papil- lösen Verstülpung der Nebenzellen der Spaltöffnungen (Taf. I, ie, 1).

Bald aber wachsen an zahlreichen Stellen auch die Wassergewebszellen mächtig heran, besonders in radialer Richtung, es treten tangentiale Theilungen ein, die Epidermis, deren Zellen selbst lebhaftes Wachsthum zeigen, wird mit emporgehoben und so kommen die wasserhellen Papillen und Blasen zu Stande, welche in verschiedener Grösse die Unter- seite, desıBlaftese (Rio 0n P)Epedecken:

Diese Wucherungen setzen sich in der Regel auch auf die intacte Blatthälfte fort, während die Adventiv-Hydathoden strenge auf jene Partien des Blattes beschränkt sind, deren ursprüngliche Wasserausscheidungsorgane vergiftet wurden.

So kann nun das Blatt noch eine Zeitlang weiterleben, ohne auffallende Zeichen einer allgemeinen Schädigung an den Tag zu legen. Allmälig nimmt es aber doch ein kränkelndes Aussehen an, wenn auch während der Dauer meines Buiten-

Das tropische Laubblatt. 67

zorger Aufenthaltes nicht ein einziges Blatt, dessen Hydathoden vergiftet wurden, thatsächlich zu Grunde ging.!

Um festzustellen, ob die ursprünglichen, mit Epithemen ausgerüsteten Hydathoden von Conocephalus vielleicht auch als wasserabsorbirende Organe fungiren, wurden im Labora- torium auf einem abgeschnittenen und etwas welken Blatte, das zuvor gewogen worden, den einzelnen Hydathoden Wasser- tropfen aufgesetzt und dann eine mit nassem Filterpapier aus- gekleidete Glasglocke darüber gestülpt. Nach sechs Stunden waren die aufgesetzten Wassertropfen noch ebenso gross wie am Anfang, das Blatt war nicht turgescenter und auch nicht schwerer geworden. Daraus folgt also, dass die Epithem- Hydathoden von Conocephalus kein Wasser absorbiren, ein Satz, der wahrscheinlich auf alle derartig gebauten, d. h. mit Epithemen und Wasserspalten versehenen Apparate auszu- dehnen sein wird. Ich selbst habe hierüber keine weiteren Versuche angestellt.

Bei Conocephalus ovatus war die nächtliche Tropfenaus- scheidung am schönsten und reichlichsten zu beobachten. Nur die alten Blätter secerniren wenig oder gar nicht mehr. Am 28. Jänner war um 7 Uhr Früh an einem langen Zweige noch das 12. Blatt, von oben an gezählt, sehr stark betropft; erst das 13. zeigte eine blos schwache Benetzung. An demselben Morgen waren bei Conocephalus snaveolens die jüngsten Blätter, die bereits entfaltet, respective ausgewachsen waren, stark betropft, das 4. und 5. dagegen trug nur mehr kleine Tropfen. Bei C. azureus secernirten bloss die 3—4 jüngsten Blätter, die älteren waren trocken. Bei C. ellipticus endlich waren sogar nur die 2—3 jüngsten Blätter wenn auch schon ausgewachsen stark benetzt.

Die mit €. suaveolens durchgeführten Vergiftungsversuche ergaben nach jeder Richtung hin, auch in Bezug auf die Bildung von Adventiv-Hydathoden, dasselbe Resultat wie bei €. ovatus.

1 Auf die Folgerungen, welche sich aus der Entstehung zweckmässig gebauter und functionirender Adventiv-Hydathoden bei Conocephalus für die Selectionstheorie, sowie für Nägeli’s Theorie der »directen Bewirkung« er- geben, werde ich an einem anderen Orte ausführlicher eingehen, da derartige allgemeine Erörterungen nicht in den Rahmen der vorliegenden Untersuchung gehören.

63 G. Haberlandt,

Auch bei verschiedenen anderen Moraceen und Urticaceen befinden sich auf der Blattoberseite bei gewissen Arten auf der Blattunterseite über dem Gefässbündelnetz mehr oder minder zahlreiche Epithem-Hydathoden mit Wasserspalten. Bei derzu den Conocephaloideen gehörigen Cecropia Schiedeana treten dieselben nicht unter seichten Grübchen auf, sondern bilden kleine Wärzchen, welche ziemlich hoch über die Blatt- fläche emporragen. Auch bei einigen Ficus-Arten sind die Hydathoden vorgewölbt, so bei F. fulva, wo das Epithem mit seinen Intercellularen von einer lückenlosen Gerbstoffscheide umgeben wird, ferner bei F. scandens u. a. Gewöhnlich liegen aber, wie bereits von de Bary beschrieben wurde, die Hyda- thoden der Ficus-Blätter am Grunde seichter Grübchen und zeigen dann ganz ähnliche Verhältnisse ihres Baues wie bei Conocephalus ovatus. Auf Taf. Il, Fig. 1 ist der Durchschnitt durch eine Hydathode von Ficus elastica abgebildet; man sieht sofort, wie scharf ‘sich das überaus kleinzellige, aber mächtig ausgebildete (nicht verholzte) Epithem von dem benachbarten Gewebe abgrenzt. Zahlreiche Tracheiden durchziehen den unteren Theil des Organs. Seitlich wird dasselbe von einer 2—83 schichtigen Parenchymscheide begrenzt, welche nach oben zu bis zum Wassergewebe reicht. Die das Epithem über- ziehende Epidermis ist blos einschichtig und besitzt sehr zarte Aussenwände. Ihre Dicke beträgt kaum 2 w während die Aussenwände der benachbarten typischen Epidermiszellen 8—9y. dick sind. Auch die Seiten- und Innenwände der das Epithem überlagernden Epidermis zeichnen sich durch be- sondere Zartheit aus. Mit Jodjodkalium und Schwefelsäure lässt sich leicht nachweisen, dass die Cuticula auch die Epi- dermis der Hydathode überzieht, nur ist sie hier weit zarter als auf der gewöhnlichen Epidermis. Es liegt sonach auch hier die Vermuthung nahe, dass die Wasserausscheidung nicht nur durch die Wasserspalten erfolgt, sondern dass auch die da- zwischen befindlichen Epidermiszellen Wasser direct nach aussen secerniren. Allerdings könnte die Zartwandigkeit der Epidermiszellen, besonders ihrer Aussenwände, auch noch eine andere, rein mechanische Bedeutung haben; sie könnte eine Erhöhung ihrer Dehnbarkeit bezwecken, welche mit den wahr-

Das tropische Laubblatt. 69

scheinlich nicht unbeträchtlichen Turgescenz- und Volum- schwankungen des Epithems in Zusammenhang stünde. Bevor aber hierüber nicht genauere Untersuchungen vorliegen, muss die Zartheit der das Epithem bedeckenden Epidermis, die auch bei anderen Ficus-Arten sowie bei Conocephalus zu beobachten ist, als ein noch räthselhaftes Merkmal dieser Hydathoden hingenommen werden.

Bei Ficus elastica treten die Hydathoden blos in spärlicher Anzahl 0:5 —2 cm vom Blattrand entfernt in unregelmässiger, stellenweise doppelter Reihe auf. Ich zählte z. B. auf der einen Seite eines Blattes 23, auf der anderen 25 solcher Organe, die sich dem unbewaffneten Auge sofort als scharf umschriebene, runde weissgelbe Fleckchen zu erkennen geben. Bei anderen Ficus-Arten sind sie viel zahlreicher. Die Wasserausscheidung habe ich besonders schön an einem nicht näher bestimmten Ficus-Exemplare beobachtet, welches im Buitenzorger Garten neben der über den Tjibalok führenden Brücke nächst den Glaszelten sich befindet. An jedem Morgen waren die Blätter mit grossen Wassertropfen über den Hydathoden bedeckt. Der Vergiftungsversuch mit sublimathältigem Alkol ergab ein posi- tives Resultat; die Tropfenausscheidung unterblieb, doch zeigten die betreffenden Blätter sehr bald ein kränkliches Aus- sehen. Adventiv-Hydathoden wurden nicht gebildet.

Für die Urticaceen hat bereits Volkens! das Vorkommen von über die Blattoberseite zerstreuten Hydathoden nachge- wiesen und zwar bei Urfica urens, deren Wasserausscheidungs- organe er genauer beschreibt und abbildet. Ich habe dieselben bei einer im botanischen Garten zu Graz unter dem Namen Urtica macrophylla Thunb. cultivirten Species untersucht, welche mir desshalb interessant war, weil sich über den Hyda- thoden älterer Blätter dünne, irisirende Schüppchen bilden, welche den Reactionen zufolge aus Kieselsäure, kohlensaurem Kalk und etwas organischer Substanz bestehen.? Diese Auf-

1 Jahrb. des k. bot. Gartens zu Berlin; Bd. II, 1883, S. 205. 2 Ähnliche Auflagerungen von gleicher Zusammensetzung hat Kohl

(Anatomisch-physiologische Untersuchung der Kalksalze und Kieselsäure in der Pflanze, Marburg 1889) bei einer anderen Urticacee, Pilea muscosa, auf der Blattunterseite über den Enden der Seitennerven beobachtet.

70 G. Haberlandt,

lagerungen sind wie die Kalkschüppchen der Sarxifraga-Arten nichts anderes als Residua des ausgeschiedenen und ver- dunsteten Wassers. Die Epitnemzellen dieser Hydathoden sind etwas grösser als bei Conocephalus und Ficus und weniger stark gebuchtet, doch lassen sie ziemlich grosse Intercellular- räume zwischen sich frei. Die Abgrenzung des in seinen unteren Partien schwach verholzten Epithems ist eine sehr scharfe. Sie wird gegen das Assimilationsgewebe zu durch eine lückenlose Parenchymscheide bewerkstelligt, welche sich als die unmittelbare Fortsetzung der Leitparenchymscheide des Gefässbündels erweist, dessen Tracheiden in das Epithem ein- treten. Die an das letztere angrenzenden Wandungen dieser Scheide sind zwar etwas verdickt, doch nicht verkorkt. Die das Epithem überziehende Epidermis weist 15—20 Wasserspalten auf. Jede Schliesszelle enthält zwar 2—4 ziemlich grosse Chlorophylikörner, doch findet nach Glycerinzusatz keine Ver- engerung der Centralspalte statt.

Von Interesse ist die Urticaceen-Gattung Pilea, weil bei dieser die Hydathoden blos auf der Blattunterseite auftreten, und zwar entweder unregelmässig über die Blattfläche zerstreut (Pilea elegans), oder bloss knapp unter dem Blattrande, wie z.B. an den kleinen Blättchen von ?. frianthemoides, wo beiderseits blos 4—5 Hydathoden vorhanden sind. Das von einer Paren- ‚chymscheide umhüllte Epithem grenzt sich gegen die Um- gebung scharf ab und besteht aus kleinen rundlichen Zellen mit Intercellularräumen dazwischen; die Anzahl der Wasser- spalten beträgt bei der letztgenannten Art 8—10.

Fuchsia.!

Auf den Blattzähnen der Fuchsia-Blätter treten grosse Wasserspalten auf, und zwar, wie schon de Bary angibt, je ein grosser, oft weit offener Porus an der Spitze jedes Zahnes.

1 Die zu den nachstehenden Untersuchungen verwendeten Fuchsia- Exemplare gehörten in den Formenkreis der F. globosa und der ihr nächstver- wandten Arten. Eine genauere Bestimmung ist allerdings bei dem Umstande, dass in den Gärten zahlreiche Varietäten und Bastarde gezogen werden, oft kaum möglich, für unsere Zwecke übrigens auch überflüssig.

Das tropische Laubblatt. N

Der Spaltöffnungsapparat ist ungefähr ebenso lang als breit, (0:065 mm) und fast doppelt so gross wie die gewöhnlichen Luftspalten der Blattunterseite. Die Schliesszellen enthalten ziemlich zahlreiche Chlorophylikörner, die meist sehr stärke- reich sind. Sie sind auf der Bauchseite, wie die Schliesszellen der Luftspalten, mit zwei allerdings schwach ausgebildeten Cuticularleisten versehen, so dass ein Vor- und Hinterhof zu Stande kommt (Taf. II, Fig. 2). Die Centralspalte ist länglich und kann an nicht zu alten Blättern verengert und erweitert, zuweilen vollkommen geschlossen werden. Die Schliesszellen dieser Wasserspalten sind also keineswegs unbewesglich, wie gewöhnlich angenommen wird. Nachstehend folgen einige Massangaben, ausgedrückt in Theilstrichen des Ocularmikro- meters vor und nach der Plasmolyse, welche durch 5 procentige Salpeterlösung erzielt wurde.

Wasserspalte I Wasserspalte II Die gemessenen Grössen offen geschl. offen geschl. Länge des Apparates...... 26 26 23 25 Breite des Apparates ...... 27 27 26 26 BreiterdesVorhofes. 12..... 10 10 9 9 Weite der Centralspalte.... 6) 1 45 0)

Aus der Vergleichung dieser Zahlen ergibt sich, dass Länge und Breite des ganzen Spaltöffnungsapparates, sowie die Breite des Vorhofes im offenen, wie im geschlossenen, respective verengerten Zustande der Centralspalte gleich gross sind. Die Verengerung letzterer wird, so wie ich dies für die Spaltöffnungen von Mnium cuspidatum nachgewiesen habe,! durch das Breiterwerden der Schliesszellen hervorgerufen. Offenbar ist auch die Mechanik des Öffnens und Schliessens dieselbe. Die Schliesszellen suchen ihre querelliptische Ouer- schnittsform bei steigendem Turgor mehr abzurunden und der kreisförmigen zu nähern. Dabei werden die vorgewölbten

1 Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Laubmoose; Pringsheim's Jahrbücher für wiss. Botanik, 17. Bd. S. 468.

12 G. Haberlandt,

Bauchwände mehr oder minder gerade gestreckt und weichen in Folge davon auseinander. Wie schon erwähnt, kommt es bei sinkendem Turgor gewöhnlich bloss zu einer Verengerung der Spalte; ein vollkommener Verschluss ist selten. An älteren Blättern gehen die schon vorher unbeweglich gewordenen Schliesszellen der Wasserspalten häufig zu Grunde.

Das unter der ziemlich geräumigen »Wasserhöhle« ge- legene Epithem ist sammt dem Bündelende von birnförmiger Gestalt. Zahlreiche Spiraltracheiden reichen, sich pinselförmig ausbreitend, tief in das Epithem hinein, dessen Zellen zwischen den Tracheiden und auch noch darüber hinaus von gestreckter Gestalt sind und theils schräge, theils senkrecht gestellte Quer- wände aufweisen (Taf. II, Fig. 2). Gegen die »Wasserhöhle« zu werden die Epithemzellen unregelmässig schlauchförmig, dabei immer kürzer, häufig geradezu isodiametrisch und ragen schliesslich als abgerundete Papillen in die Athemhöhle hinein.

Mit Rücksicht auf den Vorgang der Wasserausscheidung war es von Wichtigkeit, genau zu untersuchen, ob das Epithem mit Intercellularräumen versehen ist oder nicht. Auf Längs- schnitten sieht man zunächst nur in der oberen Region des Epithems zwischen den abgerundeten Ecken und Kanten der Zellen immer grösser werdende Intercellularen auftreten. Nach unten zu, in der Region der Tracheidenenden, macht das Epi- them anfänglich einen ganz compacten Eindruck.! Erst bei sehr genauer Untersuchung und starker Vergrösserung sieht man ausser den kleinen Intercellularen zwischen den Zellecken hie und da auch äusserst enge Canäle und Spalten zwischen den Längswänden. Auffallend und wichtig ist, dass die nicht selten erweiterten Enden der Spiraltracheiden stellenweise direct an verhältnissmässig etwas grös- sere Intercellularräume grenzen, in welche jene Canäle hineinmünden (Taf. II, Fig. 4, 5). Diese Lücken sind meist seit- lich unterhalb des Endes der Tracheide gelegen und werden einerseits von einer mehr oder minder ausgesprochenen Vor-

1 Volkens (l. c. S. 195) gibt für Oenothera biennis, deren Epitheme nach ihm genau denselben Bau zeigen, wie die von Fuchsia, das Fehlen von Intercellularen im »compacten Epithemgewebe« an. Höchstens könnten kleine Intercellularen zwischen den schmalen Querwänden gesucht werden.

Das tropische Laubblatt. 7

wölbung der Tracheidenwand, anderseits von den Enden mehrerer Epithemzellen begrenzt. Zuweilen stösst das quer oder schräg abgestutzte Ende der Tracheide selbst an einen ziemlich breiten Intercellularspalt. Deutlicher sieht man die engen Canäle und Spalten längs der Zellkanten auf Quer- schnitten durch den Blattzahn, wo dieselben zumeist in Gestalt winziger Dreieckchen erscheinen (Fig. 3, 6). Dieses unge- Rein en alumige Intereellularsystem des Epithems Denken euer Siondenn, wierdies Molkens zuerssirür Calla palustris nachgewiesen, anscheinend dauernd mit wässeriger Flüssigkeit erfüllt.

Sämmtliche Zellen des Epithems enthalten ziemlich reich- lich Protoplasma, das sich in den gestreckten Zellen namentlich an den beiden Enden und in der Mitte ansammelt (Fig. 7); hier befindet sich auch der relativ grosse, rundliche oder spindel- förmige Zellkern (Fig. 7, 8). Kleine Chlorophylikörner sind ziemlich häufig. Der Zellsaft enthält oft sehr beträchtliche Mengen eines eisenbläuenden Gerbstoffes, der übrigens auch in der Epidermis und im Assimilationsgewebe vorkommt. Die Zellwände des Epithems sind zart, glatt und nicht verholzt; sie färben sich mit Jod-Jodkaliumlösung und Schwefelsäure dunkelblau und werden von Congoroth ziemlich stark tingirt. Die an die »Wasserhöhle« angrenzenden Membranen der äussersten Epithemzellen sind meist ein wenig verdickt. Ihre äusserste Membranlamelle wird durch Jod-Jodkaliumlösung oder Schwefelsäure nur schwachgebläut und löst sich in letz- terer weit langsamer auf, als die übrigen Zellwandpartien; doch ist sie keineswegs cutinisirt.

In morphologisch - entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht können die gestreckten Epithemzellen zwischen und über den Tracheidenenden als das Hadromparenchym (die »Holzparen- chymzellen«) des angeschwollenen Gefässbündelendes be- trachtet werden. Man sieht nämlich, wie in dem Maase, als das Bündel dicker wird, die Zahl der parenchymatischen Elemente zwischen den Tracheiden zunimmt, und dass dieselben in jeder Hinsicht mit den gestreckten Zellen des Epithems, in welche sie allmälig übergehen, übereinstimmen. Bereits de Bary' hat

1 Vergl. Anatomie, S. 391.

74 G. Haberlandt,

auf dieses Verhalten ganz im Allgemeinen hingewiesen. Auch die Entwicklungsgeschichte des angeschwollenen Bündelendes mit seinem Epithem lässt sich zu Gunsten dieser Auffassung heran- ziehen. Auf dem Längsschnitte durch die Spitze eines circa smm langen, jungenBlättchens sieht man nämlich, dass sich das Cambium- (respective Procambium-) bündel in einheitlicher Aus- bildung bis unter die subepidermale Meristemzelllage erstreckt (Fig. 11). Diese letztere theilt sich wiederholt in perikliner und antikliner Richtung, ohne dass dabei ein cambiales, d. h. pro- senchymatisches Bildungsgewebe zu Stande käme; aus den so entstandenen Zellen geht die oberste Region des Epithems hervor, welche aus kurz-schlauchförmigen und rundlichen Zellen besteht.

Das Leptom des in den Blattzahn einmündenden Bündel- endes verschmälert sich immer mehr, je dicker das Bündel wird. Dort, wo es birnförmig anzuschwellen beginnt, bildet der Leptomtheil nur mehr ein schmales Band, aus 1—2 Cambiform- zelllagen bestehend, welchem mehrere (gewöhnlich 3) Sieb- röhrenbündelchen eingelagert sind (Fig. 9). Diese letzteren enden noch unterhalb der Tracheidenenden, wobei sich das zuerst von Alfred Fischer! für eine Anzahl von Dicotylen constatirte Verhalten beobachten lässt, dass die Geleitzellen der Bündelenden bedeutend weiter sind, als die benachbarten, eng- lumigen Siebröhrenglieder. Die plasmareichen, grosskernigen Geleitzellen setzen sich noch über die letzten Siebröhrenglieder hinaus in mehreren »Übergangszellen« fort (Fig. 10).

Aus dem vorstehend Mitgetheilten geht also auf das deut- lichste ‘hervor, dass das Veptomzannder BPAdunezdes Epithems gänzlich unbetheiligt ist.

1 Studien über die Siebröhrenglieder der Dicotylenblätter. Berichte der math.-phys. Classe der k. sächs. Gesellsch. der Wissensch. 1885.

2 Diese Thatsache erweckte in mir Bedenken gegen die Richtigkeit der Angabe Waldner’s (»Die Kalkdrüsen der Saxifragen«, Mittheil. des naturwiss. Vereines für Steiermark, 1877), wonach der keulige »Drüsenkörper« an den Gefässbündelenden der Saxifragen, der nichts anderes als das Epithem der- selben vorstellt, eine Bildung des »Basttheiles« (d.i. des Leptoms) der Bündel- enden sei. Waldner lässt den Holztheil derselben bloss aus Spiralgefässen und Tracheiden bestehen, die Holzparenchymzellen hat er gänzlich übersehen

Das tropische Laubblatı. 18

Umgeben wird das ganze Epithem von einer parenchyma- tischen Scheide, welche bis knapp unter die Epidermis reicht und die Fortsetzung der Gefässbündelscheide bildet (Fig. 2). Die Tracheiden grenzen oft unmittelbar an diese Scheide. Schliesslich wäre noch zu erwähnen, dass sich in dem an das Epithem angrenzenden Mesophyll sehr häufig grosse Raphiden- schläuche befinden.

Ichpsichenjetzr zum expecimenmwellentThieile meinerran Fuchsia angestellten Beobachtungen über.

Nachdem schon seit Langem bekannt war, dass an den Blattzähnen von Fuchsia-Stöcken bei gehemmter Transpiration Wassertropfen ausgeschieden werden, hat zuerst de Bary! gezeigt, dass das Gleiche auch eintritt, wenn der Wurzeldruck an abgeschnittenen Zweigen durch den Druck einer Queck- silbersäule ersetzt wird. Später wurde von Moll? nachgewiesen, dass auf diese Weise auch rother Phytolacca-Saft und 1°/,-ige Tanninlösung durch die Blattzähne ausgepresst werden können.

und so musste ihm auch der Übergang derselben ins Epithemgewebe entgehen. In der That verhält sich die Sache nach meinen Beobachtungen bei den Saxi- fraga-Arten nicht anders wie bei Fuchsia und verschiedenen anderen Pflanzen. Das Gewebe der »Kalkdrüsen« erweist sich als eine Bildung des angeschwol- lenen Hadromtheiles des Gefässbündelendes, speciell des Hadromparenchyms, nicht aber des Leptoms. Besonders schön lässt sich dies bei Saxifraga caespi- tosa beobachten, wo zwischen dem Hadrom und dem eigentlichen, typischen Leptom mit Siebröhrenbündeln eine lebhaft grüne Zellschicht, aus mehreren Lagen bestehend, eingeschaltet ist, die man als Leptomparenchym oder Cambi- form bezeichnen kann. Auf successiven Querschnitten durch das allmälig an- schwellende Gefässbündel sieht man sofort, wie diese grüne Zellschicht immer weiter nach unten rückt und der Streifen typischen Leptoms immer schmäler wird; das Hadrom dagegen schwillt mächtig an. Ebenso sieht man auf Längs- schnitten, wie die grüne Schicht nach abwärts rückt und etwa in der Mitte der Anschwellung vollständig erlischt, nachdem die Siebröhrenbündel schon früher blind geendigt haben. Ebenso weit wie die erstere reichen ungefähr auch die unterseitigen Tracheiden ins Epithem hinein. Die oberseitigen enden schon früher.

1 Bot. Ztg., 1869 und 1833 Anmerkung.

® Untersuchungen über Tropfenausscheidung und Injection bei Blättern. Verslagen en Mededeelingen der k. Akademie van Wetenschappen, 2. Th., XV. B. 1880.

76 G. Haberlandt,

Wenn dieses Ergebniss auch zu Gunsten der Filtrationshypo- these spricht, so ist dasselbe doch keineswegs beweisend. Das Verhalten des Epithems hat Moll bei seinen Experimenten nicht untersucht und so wäre es nicht ausgeschlossen, dass das activ wasserauspressende Epithemgewebe gleich der thierischen Niere auch die Fähigkeit besitzt, in den Organis- mus eingeführte, gelöste Stoffe auszuscheiden, zumal wenn dieselben nicht giftig wirken. Anderseits sprechen für die Activität des Epithems als »Wasserdrüse« verschiedene That- sachen, welche der Filtrationshypothese Schwierigkeiten be- reiten oder ihr direct zu widersprechen scheinen. So das Aus- bleiben der Secretion an alten Blättern und häufig auch an einzelnen Blattzähnen jüngerer Blätter, deren Epitheme nicht die geringsten anatomischen Anhaltspunkte für dieses ab- weichende Verhalten darbieten. Bedeutungsvoller ist die von Gardiner! und von W. P. Wilson? mitgetheilte Beobachtung, dass auch an abgeschnittenen und bloss in Wasser gestellten Fuchsia-Sprossen in feuchter Luft kleine Wassertropfen auf den Blattzähnen erscheinen. Diese Tropfen können nur activ von den Epithemen ausgeschieden werden, denn wenn auch in den Gefässbündeln, respective im Holzkörper des abge- schnittenen Zweiges ein Blutungsdruck sich geltend machen kann, so wird doch die in die Gefässe und Tracheiden gepresste Flüssigkeit an der Schnittfläche, als der Stelle des geringsten Widerstandes, nach aussen filtriren, nicht aber durch die Epi- theme der Blattzähne, wo der Filtrationswiderstand schon aus dem Grunde grösser ist, weil die Intercellularcanäle des Epi- thems viel enger sind, als die Gefässe und Tracheiden. Aller- dings wird von Gardiner angenommen, dass bei mangelndem Wurzeldruck das Wasser überhaupt nicht durch die Epitheme und Wasserspalten ausgeschieden wird, sondern durch Haare, welche auf den Blattzähnen in der Nähe der Spalten sitzen. Diese Annahme ist aber gänzlich unbegründet. An den Laub- blättern der von mir benützten Füchsien kommen einzellige

1 Vergl. Bot. Ztg. 1834, S. 495. 2 The cause of the excretion of water on the surface of Nectaries, Unter- suchungen aus dem bot. Institut zu Tübingen, I. Bd., S. 9.

Das tropische Laubblatt. Un

Haare von zweierlei Ausbildung vor; etwas längere, spitze Haare mit derber Wand und knötchenförmig verdickter Cuticula und kürzere, nicht so derbwandige Drüsenhaare, die an ihrem Ende abgerundet und etwas angeschwollen sind. Erstere kommen hauptsächlich am Blattrande und zwischen den Blattzähnen vor; darunter vereinzelt auch Haare der zweiten Kategorie, welche aber besonders häufig den Nerven der unteren Blattseite auf- sitzen. Zerstreut kommen sie auch auf der oberen Blattfläche vor. Als wasserausscheidende Haare könnten nur diese Drüsen- haare in Betracht kommen, doch geben Gardiner sowohl als auch Wilson ausdrücklich an, dass auch bei mangelndem Wurzeldruck die Wassertropfen ausschliesslich über den Blatt- zähnen erscheinen.

Damit stimmt nun die Vertheilung der fraglichen Drüsen- haare ganz und gar nicht überein. Es kann sonach nicht zweifelhaft sein, dass bei Fuchsia die Wasserausscheidung unter allen Umständen bloss durch die Epitheme und Wasser- spalten erfolgt.

Die bisher mitgetheilten Beobachtungen über Tropfenaus- scheidung bei Fuchsia reichen demnach nicht aus, um definitiv zu entscheiden, ob der Vorgang ein blosser Filtrationsprocess ist, oder ob er auf activer Wasserauspressung seitens des Epi- thems beruht. Bei keinem der bisherigen Versuche war nämlich die active Mitwirkung des Epithemgewebes ausgeschlossen.

Ich habe meine Versuche theils mit gut bewurzelten Topf- pflanzen, theils mit abgeschnittenen Zweigen unter Anwendung künstlichen Druckes angestellt. Die Zweige wurden gewöhnlich unter Wasser abgeschnitten. Die Ausführung der Druckver- suche geschah nach der im I. Theile dieser Abhandlung auf S. 496 (Juni-Heft 1894) beschriebenen Methode. Die Höhe der Quecksilbersäule schwankte in der Regel zwischen 10—15 cm, da ein solcher Druck ausreichend ist, um schon nach 15 bis 30 Minuten die Tropfenausscheidung zu bewirken. Die Tempe- ratur des Versuchsraumes betrug 13— 20°C.

Zuerst wurden einige Vergiftungsversuche vorge- nommen. Nach Bepinselung der Blattzähne mit 0: 1°/,iger alko- holischer Sublimatlösung ergab sich alsbald das überraschende Resultat, dass bei einem Druck von 15—18 cm Quecksilber die

78 G. Haberlandt,

Wasserausscheidung ebenso rasch und ebenso reich- lich sich einstellte, wie an den unvergifteten Blättern desselben Zweiges. Denselben Erfolg hatte die Bepinselung der Blattzähne mit alkoholischer Jodlösung. Da die Art der Versuchsanstellung Zweifel in Bezug auf die sichere Vergiftung der Epitheme zuliess, so wurden die Versuche in der Weise variirt, dass giftige Lösungen in die Zweige einge- presst wurden, die Vergiftung der Epitheme also von hinten her erfolgte.

Zunächst kam eine O:1°/),ige wässerige Sublimat- lösung zur Verwendung. Die Höhe der Quecksilbersäule be- trug Il cm. Nach 1!/, Stunden trugen zahlreiche Blattzähne ziemlich grosse Tropfen. Sie gaben aber auf blankem Kupfer- blech nicht die geringste Reaction,! obgleich Tropfen der ur- sprünglichen Lösung schon nach einer halben Minute einen sehr deutlichen Quecksilberspiegel hinterliessen. Nun wurden die Blätter mittelst Filterpapier abgetrocknet. Nach weiteren 4 Stunden waren neuerdings ziemlich grosse Tropfen ausge- schieden worden, die aber auf Kupferblech keine Spur eines Fleckes erzeugten, also noch immer kein Sublimat enthielten. Die Blätter wurden nun wieder abgetrocknet. Am nächsten Morgen, d. i. nach 20 Stunden waren alle Blätter bis auf zwei abgefallen, die aber ein ganz frisches, lebhaft grünes Aussehen zeigten; die Blattzähne trugen mehrere ziemlich grosse Tropfen, die noch immer keine nachweisbare Menge von Sublimat ent- hielten. Beim Berühren fielen auch diese Blätter ab. Nun wurde der 10 cm lange Spross mikroskopisch untersucht. Bis zu einer Entfernung von 18 mm von der Schnittfläche waren alle Ge- webe des Stengelquerschnittes abgestorben, die Plasmakörper fixirt. Weiter hinauf waren dann bloss die an die Gefässe an- gsrenzenden Elemente getödtet. Die Epitheme waren ganz intact, ihre Protoplasten, wie die ganz normale Plasmolyse lehrte, noch am Leben. Aus dem Vorstehenden ergibt sich also, dass man bei Anwendung einer Sublimatlösung nicht im Stande ist, die Epitheme zu vergiften, weil das Sublimat schon

1 Die Kupferblechreaction erwies sich als viel empfindlicher, als die Re- action mit Schwefelwasserstoffwasser.

Das tropische Laubblatt. [R:

vorher der wässerigen Lösung durch die an das Wasserleitungs- system angrenzenden plasmahältigen Gewebe entrissen wird. Selbst eine 1°/,ige Lösung führt, wie ich mich überzeugt habe, nicht zum Ziele.

Ein positives Ergebniss lieferte dagegen der Vergiftungs- versuch mit einer 5°%,igen Lösung von Kupfersulfat. Die Höhe der Quecksilbersäule betrug 12cm. Schon nach 15 Mi- nuten erschienen auf den Blattzähnen kleine Tropfen, die aber mit gelbem Blutlaugensalz noch keine Kupferreaction gaben, ebensowenig die nach einer Stunde ausgeschiedenen, bereits grösseren Tropfen. Es war eben zuerst das im Wasserleitungs- system des Zweiges zu Beginn des Versuches vorhandene Wasser ausgepresst worden. Nach zwei Stunden gaben die ausgeschiedenen Tropfen bereits die Kupferreaction, wenn auch nicht so stark, wie die Lösung selbst. Nun wurden die Blätter abgetrocknet. Dieselben liessen bereits längs der Blattnerven, namentlich in der oberen Hälfte der Lamina, die punktförmig beginnende Injection der Intercellularen erkennen. Nach sechs Stunden waren auf einer ganzen Anzahl von Blattzähnen wieder ziemlich grosse Tropfen erschienen, welche mit gelbem Blutlaugensalz einen reichlichen Niederschlag gaben. Die Blätter waren längs der Nerven durchscheinend punktirt und hier auch bereits gebräunt. Nun wurden die Blätter wiederum abgetrocknet. Am nächsten Tage, 24 Stunden nach Beginn des Versuches, waren die Blätter grösstentheils gebräunt, die Inter- cellularen des Mesophylis injicirt. Bloss oberseits waren noch zwischen den Secundärnerven grüne Partien sichtbar. An ein- zelnen Blattzähnen traten grosse Tropfen auf, die schon durch ihre Blaufärbung ihren Gehalt an Kupfersulfat erkennen liessen. Die injicirten Blätter waren übrigens auch unterseits ziemlich stark betropft; aus der getödteten und injicirten Lamina trat eben durch die Spaltöffnungen Flüssigkeit aus. Dass auch die Epitheme getödtet waren, braucht kaum erst betont zu werden. Das Ergebniss dieses Versuches ist also, dass Blattzähne, deren Epitheme durch Kupfersulfat vergiftet wurden, trotzdem bei genügendem Druck Flüssigkeitstropfen ausscheiden.

Dasselbe Resultat ergab auch ein Versuch mit 0 :2°/ iger wässeriger Eosinlösung. Die Druckhöhe betrug diesmal

s0 G. Haberlandt,

ausnahmsweise 21 cm Quecksilber. Schon nach einer Viertel- stunde waren kleine, rothe Tröpfchen an den Blattzähnen zu beobachten. Längsschnitte durch die Hydathoden zeigten in diesem Stadium eine intensive Rothfärbung der Tracheiden- wände; das Epithem war gleichmässig lichtroth tingirt. An- scheinend waren bloss die Zellwände gefärbt; sehr deutlich sah man dies an den die Wasserhöhle überdeckenden Epider- miszellen, deren Innenwände intensiv roth tingirt waren. Nach Zusatz von Kochsalzlösung trat im Epithemgewebe rasch typische Plasmolyse ein. Nach einer Stunde waren die aus- geschiedenen Tropfen der Eosinlösung bedeutend grösser ge- worden. Das Epithem war etwas intensiver gefärbt, besonders die an die Wasserhöhle grenzenden Zellen. In diesen war auch das Plasma sammt dem Zellkern entschieden, wenn auch bloss schwach, tingirt. Nichtsdestoweniger trat nach Zusatz von Kochsalzlösung noch normale Plasmolyse ein. Nach zwei- stündiger Dauer des Versuches waren die Plasmakörper und Zellkerne des Epithems schon entschieden gefärbt; Plasmolyse war nicht mehr zu erzielen, die Protoplaste bereits abgestorben. Trotzdem dauerte die Ausscheidung der Eosinlösung noch fort. Nach sechs Stunden wurden die Blätter abgetrocknet. Am nächsten Tage (nach 22 Stunden) waren wieder an zahlreichen Zähnen sämmtlicher Blätter des Zweiges ziemlich grosse, rothe Tropfen zu beobachten. Die Blätter waren noch ganz frisch und turgescent. Bloss im basalen Theile der Lamina machte sich eine mehr minder starke Injection bemerkbar und hier traten auch unterseits farblose Tröpfchen aus. Im Blattstiel waren bloss die Gefässbündel (inclusive Leptom) tingirt, das Meso- phyli war ungefärbt. Sehr stark waren natürlich die Epitheme tingirt.

Aus diesem Versuche geht also hervor, dass die Epitheme eine 0:2°/,ige Eosinlösung bereits durch sich hindurchtreten lassen, bevor noch die Plasmakörper gefärbt und getödtet sind.

1 Auch Pfeffer (Über Aufnahme von Anilinfarben ete., Untersuchungen aus dem bot. Institute zu Tübingen, II. B., S. 276) hat beobachtet, dass die mit der Schädigung beginnende Färbung des Protoplasten, speciell des Zellkernes schon dann eintreten kann, wenn noch normale Plasmolyse zu erzielen ist.

Das tropische Laubblatt. . S|

Ist dann letzteres geschehen, so dauert die Ausscheidung un- gehindert fort.

Um den Einwänden zu begegnen, welche sich gegen der- artige Versuche, bei denen ein künstlicher Druck zur Anwen- dung gelangt, erheben lassen, wurden auch mit ganzen, gut eingewurzelten Topfpflanzen Vergiftungsversuche angestellt. An einigen Blättern wurden die Blattzähne mit 1°/,iger wässe- tiger Sublimatlösung bepinselt, an anderen mit 5°/,iger Kupfer- sulfatlösung. Dann wurde über Nacht eine theilweise mit nassem Filterpapier ausgekleidete Glasglocke über die Pflanze gedeckt. Die Temperatur sank Nachts auf 12° herab. Am nächsten Morgen waren zahlreiche Blattzähne der bepinselten, wie der intacten Blätter schön betropft. Die mit Kupfersulfat behandelten Blätter secernirten etwas reichlicher, als die mit Sublimat behandelten. An letzteren wurden nun die Zähne, über welchen Tropfen erschienen waren, nochmals bepinselt. Am nächsten Morgen waren die Ränder dieser Blätter gebräunt, doch traten an jedem Blatte 6—7 ziemlich grosse Tropfen auf. Die Epitheme der secernirenden Zähne waren, wie die mikro- skopische Untersuchung lehrte, abgestorben, ihre Plasmakörper fixirt. Damit war nun das von Conocephalus abweichende Ver- halten von Fuchsia definitiv festgestellt. Bei Ersterem verhindert die an der intacten Pflanze vorgenommene Vergiftung der Epi- theme die Wassersecretion, bei Fuchsia dagegen nicht.

Das Ergebniss dieser wiederholt durchgeführten Versuche ist also, dass bei Fuchsia die Blattzähne bei künst- lichem Druck sowohl, wie beinormalem Wurzeldruck auch dann Wasser ausscheiden, wenn die Epitheme vergiftet worden sind.

Man könnte nun meinen, dass diese Thatsache hinreiche, um die Richtigkeit der Filtrationshypothese für unsere Pflanze zu beweisen. Genau betrachtet lässt sich aber daraus nur die Folgerung ableiten, dass das getödtete Epithemgewebe die Stelle geringsten Filtrationswiderstandes darstellt, und dass, wenn die Epitheme vergiftet sind, die Wasserausscheidung thatsächlich auf Druckfiltration beruht. Das lebende Epithem- gewebe könnte aber trotzdem activ an dem Secretionsprocesse betheiligt sein. Es könnte sich eben bei der Ausscheidung durch

Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl. ; CIV. Bd., Abth. I. 6

32 G. Haberlandt,

lebende und durch getödtete Epitheme um zwei verschiedene Processe handeln.

Diese Erwägung gab zugleich die Richtung an, in welche: die Versuche fortzusetzen waren. Es frug sich, ob die Wasser- ausscheidung auch dann eintritt, wenn die Epitheme nicht getödtet, sondern bloss in einen Zustand der Unthätigkeit, in einen) Stanzezustand verserze nyerden ZurdiesemuBehn- wurden zunächst mit abgeschnittenen Zweigen Chlorofor- mirungsversuche vorgenommen. Die Ausführung derselben geschah in der schon auf S. 515 des I. Theiles beschriebenen Weise. Das Quecksilber wurde erst nach halbstündigem Ver- weilen derZweige im Chloroformdampf in dieRöhre eingegossen. Bei 12— 16cm Quecksilberdruck traten an den Blattzähnen der chloroformirten Zweige ebenso bald Wassertropfen auf, wie an den nicht chloroformirten Controlzweigen. Dann wurden Druck- versuche bei sehr niederer und sehr hoher Temperatur ausge- führt, um die Epitheme in den Zustand der Kälte- und der Wärmestarre zu versetzen. In ersterem Falle wurde der Glas- cylinder mit den Versuchszweigen in einen weiten Blech- cylinder von gleicher Höhe gebracht und der Zwischenraum mit kleinen Eisstücken ausgefüllt. Nachdem sich die Luft im Glascylinder auf circa 1°C. abgekühlt hatte, wurde Quecksilber in die Röhre eingegossen. Das einemal wurde ein Druck von 12cm, das anderemal ein solcher von 20cm angewendet. Ein Controlzweig von derselben Pflanze befand sich im Zimmer bei 18°C. Nach zwei Stunden waren die ganz frischen Blätter der kältestarren Zweige gerade so ausgiebig betropft, wie die des Controlzweiges. Zu den Versuchen bei hoher Temperatur diente ein cylindrischer Sterilisirungsapparat mit Dampfheizung, in welchen der Glascylinder mit den Versuchszweigen gebracht wurde. Nachdem die Lufttemperatur in der Umgebung der Zweige auf 45°C. gestiegen war, kam ein Druck von 12, respec- tive lo cm Quecksilber zur Anwendung. Nach zwei Stunden war die Temperatur auf 48° C. gestiegen; auf einer grösseren Anzahl von Blattzähnen traten ziemlich grosse Wassertropfen auf, die Blätter waren noch ganz frisch und grün. Erst bei 52° C. trat Bräunung und Welken ein.

Das tropische Laubblatt. 1108

Als Resultat dieser Versuche ergibt sich also, dass auch Bann. wuenn die Zweige, nespective.die Fpitheme BnloroNonmi oder im dem Zustandlider Kälte, Bospeeriver den \Märmestarne versetzt werden, bei Ks ullchrem Drucke \Masser aus den Blattzähnen ausgepresst wird.

Obgleich nun der oben gegen dasErgebniss der Vergiftungs-

“versuche erhobene Einwand mutatis mutandis auch gegen die

Verwerthung des vorstehendenResultates erhoben werden «kann, so ıst doch zu betonen, dass in diesem Falle ein solcher Ein- wand nicht mehr berechtigt ist. Denn wenn auch das lebens- thätige Epithem activ an der Wasserausscheidung betheiligt sein sollte, so ist doch die ausgiebige Betheiligung einfacher Druckfiltration an dem Ausscheidungsvorgange nicht mehr zu bezweifeln. Die histologischen und physikalischen Voraus- setzungen für eine solche Druckfiltration bleiben eben dieselben, ob nun das Epithem activ in den Process eingreift oder nicht. Auf jeden Fall muss also Filtration stattfinden. Dabei ist aber nicht ausgeschlossen, dass sobald die Filtration beginnt, auch das Epithem unter dem Einfluss des steigenden hydrostatischen Druckes im Wasserleitungssystem, der auf die Zellen des Epithemgewebes als Reiz wirken würde, activ Wasser aus- presst. Gross kann übrigens dieser hypothetische Antheil des Epithems am Ausscheidungsprocesse nicht sein, denn ein merkbarer Unterschied in der Grösse der ausgeschiedenen Tropfen im intacten und im vergifteten oder chloroformirten Zustande der Epitheme lässt sicht nicht sicher wahrnehmen. Allerdings habe ich wiederholt den subjectiven Eindruck gehabt, als ob im intacten Zustande der Blätter bei gleichem Druck etwas reichlicher Wasser ausgepresst würde; bei der ungleichen Grösse der Tropfen auf den verschiedenen Blättern desselben Zweiges, ja selbst auf den verschiedenen Zähnen desselben Blattes kommt man aber über ein subjectives Abschätzen der ausgeschiedenen Flüssigkeitsmengen nicht hinaus.

Wir kommen also auf Grund der mitgetheilten Experimente zu dem Ergebniss, dass bei RAuchsia die Wasseraus- scheidung im Wesentlichen auf Druckfiltration be- ruht. Den Weg, den das Wasser hiebei von den Tracheiden-

6*

S4+ G. Haberlandt,

enden aus einschlägt, ergibt sich aus dem anatomischen Bau der Epitheme. Die in dieselben einmündenden Tracheiden grenzen stellenweise direct an wassererfüllte Intercellularen, welche durch ein System sehr enger Canäle und Spalten mit der Wasserhöhle in Verbindung stehen. In diesen Bahnen, welche den geringsten Filtrationswiderstand darbieten, bewegt sich offenbar das Wasser nach aussen. Für die Annahme, dass das Wasser in den zartwandigen, aus relativ reiner Cellulose bestehenden Längswänden der Epithemzellen nach aussen filtrire, liegt kein Grund vor. Ebenso ist es gänzlich ausge- schlossen, dass das Wasser die Lumina der Epithemzellen, die Hautschichten der Plasmakörper durchquerend, passire, da der hydrostatische Druck, welcher in diesen Zellen herrscht, die Druckgrösse, welche Filtration bewirkt, um ein Vielfaches über- trifft. Die Concentration der Salpeterlösung, welche zur Plas- molyse der Epithemzellen führt, liegt zwischen 2 und 3°/,, was einem osmotischen Druck von 7—10 Atmosphären entspricht.!

Wir stehen jetzt vor der Frage, welche Aufgabe dem Epithemgewebe bei dem Ausscheidungsprocesse zu- kommt. Mit der Herstellung eines englumigen Intercellular- systems kann seine Bedeutung nicht erschöpft sein, da der ausgesprochen drüsige Bau desEpithems dabei unerklärt bliebe. Irgend eine bedeutungsvolle secretorische Thätigkeit wird ihm demnach wohl zuzuschreiben sein, wenn wir auch in dieser Hinsicht auf blosse Vermuthungen angewiesen sind. Dabei dürfte aber das Hauptgewicht nicht auf die schon oben erwähnte Möglichkeit zu legen sein, dass sich das Epithem bei der Wasserausscheidung activ betheiligt, indem ein Bruchtheil des ausgeschiedenen Wassers von ihm secernirt wird. Denn dieser Bruchtheil kann jedenfalls nur gering sein. Allerdings folgt dies nicht aus der bereits von Wilson beobachteten Thatsache, dass an abgeschnittenen und in Wasser gestellten Fuchsia-Zweigen nur eine unbedeutende Wasserausscheidung stattfindet. Auch ich habe an solchen Zweigen, die mit einer

1 Nach Pfeffer (Zur Kenntniss der Plasmahaut und der Vacuolen. Abhandl. der k. sächs. Gesellschaft der Wissensch., XVI. Bd., 1890, S. 306) beträgt der osmotische Druck für 0:1 Molekül Salpeter (einprocentige Lösung)

circa 34 Atmosphären.

Das tropische Laubblatt. 89

Glasglocke bedeckt waren und sich hier in einer sehr feuchten Atmosphäre befanden, nur ausnahmsweise eine sehr spärliche Wasserausscheidung an den Blattzähnen beobachten können. Bei dieser Art der Versuchsanstellung kann es eben zu keiner Steigerung des hydrostatischen Druckes im Wasserleitungs- system kommen, welche auf die Epitheme als Reiz wirken und diese zu reichlicherer Wasserausscheidung veranlassen könnte. Wohl aber folgt die jedenfalls nur geringfügige active Bethei- lisung der Epitheme an der Wasserausscheidung aus der schon oben erwähnten Thatsache, dass bei Druckversuchen ein merkbarer Unterschied in der Grösse der ausgeschiedenen Tropfen im intacten und im vergifteten oder chloroformirten Zustande der Epitheme nicht sicher zu constatiren ist.

Die vom Epithemgewebe auch bei mangelnder Druck- steiserung im Wasserleitungssysteme secernirte Flüssigkeits- menge reicht aber jedenfalls vollkommen aus, um das Inter- cellularsystem, welches in den Blattzähnen von den Wasser- spalten bis zu den Tracheidenenden reicht, dauernd mit Wasser gefüllt zu erhalten, und in dieser capillaren Verstopfung der Intercellularräume des Epithems liegt vielleicht die Bedeutung seiner Secretionsthätigkeit. Wie schon v. Höhnel und neuer- dings wieder Strasburger! hervorgehoben haben, trachtet die Pflanze einen möglichst vollkommenen Abschluss ihrer trache- alen Leitungsbahnen gegen das luftführende Intercellularsystem zu erzielen. Wo in den Laubblättern ausnahmsweise Inter- cellularen direct an ein Gefässbündelende grenzen, da wird, wie Strasburger angibt, »durch entsprechende Verdickung der trachealen Elemente oder durch Ausbildung einer zarten Cuticula an der bedrohten Stelle, das Eindringen von Luft erschwert« Eine solche Schutzmassregel wäre aber bei den in’s Epithem einmündenden Tracheiden nicht am Platze, weil dadurch zugleich die Wasserfiltration erschwert würde. Dagegen wird ein dauernder Abschluss durch Wasser, welches die an- srenzenden Intercellularen erfüllt und in dem Maasse, als es durch Verdunstung entweicht, seitens der Epithemzellen ersetzt wird, seinen Zweck am vollkommensten erfüllen.

! Über den Bau und die Verrichtungen der Leitungsbahnen in den Pflanzen, Jena 1891, S. 710.

86 G. Haberlandt,

Eine andere Möglichkeit betreffs der Secretionsthätigkeit des Epithemgewebes ist die, dass durch dieselbe Endproducte des Stoffwechsels entfernt und dem durch Druckfiltration aus- tretenden Wasser beigemischt werden sollen. Nach den schon oben erwähnten Analysen der von den Blättern anderer Pflanzen ausgeschiedenen Blutungssäfte ist dies allerdings wenig wahr- Auch an dieSecretion von antiseptisch, respective

scheinlich. pilzfeindlich wirkenden Substanzen wäre zu denken, da die offenen Wasserspalten mit dem zarten Epithem darunter günstige Angriffsstellen für Schmarotzerpilze vorstellen. Einige Versuche, welche ich in dieser Hinsicht angestellt habe, lieferten aber ein negatives Ergebniss.

Nach.aall dem halte ich es für am wahrscheinlichsten, dass die Epitheme der Blattzähne von Fuchsia die Aufgabe halben, „durch seinner selenerorische Simaprekenadee Intercellularsystem, welches von den Tracheiden- enden bis zur Wasserhöhle unter der Spaltöffnung reicht, behufs Abschlusses der trachealen Leitungs- bahnen dauernd mit Wasser gefüllt zu erhalten. Dies wird wohl auch die Function der Epitheme bei all den anderen Pflanzen sein, bei welchen die Wasserausscheidung hauptsächlich durch Druckfiltration zu Stande kommt.

Jedenfalls ist es beachtenswerth, dass die Epitheme, so weit meine allerdings nicht ausgedehnten Untersuchungen reichen, in histologischer Hinsicht einen mehr oder minder ausgesprochenen Drüsencharakter zeigen; natürlich nur soweit der Zellinhalt in Betracht kommt. Nach Anwendung geeigneter Fixirungs- und Tinctionsmittel sieht man, dass die Epithemzellen keinen bloss »wässerig farblosen Inhalt« besitzen, sondern relativ reichlich Plasma und verhältnissmässig recht grosse Zellkerne enthalten. Bei Primula sinensis z. B. fällt es auf mit Borax-Carmin tingirten Querschnitten durch die Blatt- zähne sofort auf, dass die kleinen, seicht gebuchteten Epithem- zellen bedeutend grössere Zellkerne besitzen, als die um vieles grösseren Epidermis- und Chlorophyliparenchymzellen. (Taf. IV, Fig. 13.) Bei Tropaeolum majus geht das Palissadengewebe und Schwammparenchym allmälig in das Epithem über (Taf. IV, Fig. 14), die Zellen werden chlorophyllärmer, dafür vergrössern

Das tropische Laubblatt. KR sich die Kerne um ein bedeutendes; die Durchmesser der Epithemkerne sind ungefähr doppelt so gross, als jene der Mesophylikerne. Bemerkenswerth ist, dass auch die Kerne der Epidermiszellen über dem Epithemgewebe bedeutend grösser sind, als die Kerne der typischen Epidermiszellen. Die Epithem- kerne sind verschieden gestaltet, oft kugelig, ellipsoidisch, häufig spindelförmig oder unregelmässig gezackt. Sie enthalten eine grössere Anzahl von stark tinctionsfähigen grösseren und kleineren Nucleolen.

Künftige Untersuchungen über die Function der Epitheme werden jedenfalls auf diese Verhältnisse des histologischen Baues Rücksicht zu nehmen haben.

F. Hydathoden mit Wasserspalten ohne Epitheme.

Bereits Volkens hat darauf hingewiesen, dass in manchen Fällen, so z.B. bei Chelidonium majus, unter den Wasserspalten kein eigens differencirtes Epithemgewebe vorhanden ist. Ich selbst habe derartige Fälle zwar nicht an tropischen Pflanzen beobachtet, doch möge der Vollständigkeit halber auch dieser Typus in Kürze besprochen und durch einige Beispiele erläutert werden.

Secale cereale.

Die Wasserausscheidung an den Blattspitzen der Gräser olenaensaens, de Bary Volkens u A, in der Weise erioleen, dass das Wasser durch Risse in der Epidermis und überhaupt im Blattgewebe herausgepresst wird. de Bary! hat Keim- pflanzen von Zea, Secale, Triticnm etc. untersucht und sagt, dass die Risse, durch welche das Wasser austritt, durch unregelmässigesEinreissen der anfangs kapuzenförmigen Spitze des Blattes entstehen, wenn dieses mit seiner Entfaltung sich flach ausbreitet. Volkens? gibt an, dass die Epidermis an der schwach kappenförmig ausgebildeten Blattspitze nach der Unterseite zu aufreisst.

Nach den Beobachtungen, welche ich an Keimpflanzen von Secale cereale und anderen Getreidearten angestellt habe,

I Vergl. Anatomie, S. 57. CH S2 207.

88 G. Haberlandt,

wird das Wasser an der Spitze des Scheidenblattes und der ersten Laubblätter niemals durch Risse, sondern stets durch typische Wasserspalten herausgepresst. Das Scheiden- blatt (Cotyledonarscheide, Cotyledo der Autoren) ist beim Roggen, sowie bei anderen Gräsern von keilförmiger Gestalt und wird von zwei in den Kanten verlaufenden Gefässbündeln durchzogen, welche keine Anastomosen aufweisen. Knapp unter der abgerundeten Spitze des Blattes enden die Tracheiden zwischen gewöhnlichen farblosen Parenchymzellen, die ziemlich weite Intercellularräume zwischen sich frei lassen. Die Tra- cheidenenden grenzen stellenweise direct an dieIntercellularen. Epitheme sind nicht vorhanden. Knapp unter der Spitze des Blattes tritt beiderseits an den Kanten des Blattes eine Gruppe von 20—25 Wasserspalten auf (Taf. II, Fig. 6), welche sich auch über die Hinterseite der spatelförmigen Blattspitze (von einem schmalen Mittelstreif abgesehen) ausbreiten, während die Vorderseite des Organes, auf welcher sich die einen engen Spalt bildende Scheidenmündung befindet, von Spaltöffnungen frei ist. Diese Wasserspalten sind durch eine Reihe von Über- gangsformen mit den an den Blattkanten auftretenden typischen Lufitspalten verbunden. Der Unterschied im Bau der Luft- und Wasserspalten ist ein höchst auffälliger. Die Schliesszellen der letzteren sind fast halbkreisförmig, zuweilen auf der Rückseite

etwas eingedrückt, der Porus ist weit geöffnet, fast kreisförmig

» und erfährt nach der Plasmolyse der Schliesszellen keine Ver- engerung. Seine Weite beträgt 7”—9y. Die Querschnittsform der Schliesszellen ist die einesan den Ecken abgerundetenDreieckes, zinyeilenFist sie, aueh querelliptisch (Kar IzRiezdar Nude Aussenwände sind verdickt, doch nicht so stark wie die der angrenzenden Epidermiszellen. Die Bauch- und Rückenwände sind zart. Die äusseren Cuticularleisten erscheinen auf dem Querschnitt in Form kleiner, spitzer Hörnchen. Innere Leisten sind nicht vorhanden. Die beiden Nebenzellen sind von ziemlich unregelmässiger Gestalt und Lagerung; oft bilden sie nur ganz schmale kleine Sicheln.

Die ersten Laubblätter der Keimlinge tragen schon früh- zeitig auf der Aussenseite ihrer kapuzenförmigen Spitzen Wassertropfen, zu einer Zeit bereits, in der von Rissen in der

Das tropische Laubblatt. 89

Epidermis und überhaupt im Blattgewebe noch nichts zu sehen ist. Auf der convexen Aussenseite derBlattspitzen treten typische Wasserspalten auf, doch in weit geringerer Anzahl, als auf dem Scheidenblatte; auch sind die kurzen breiten Spaltöffnungs- apparate mit rundem Porus seltener, als die länglichen mit entsprechend gestreckter Spalte (Taf. III, Fig. 2, 4). Meist sind sie mehr oder minder tief eingesenkt, so dass sie, wenn die »äussere Athemhöhle« mit Luft erfüllt ist, leicht übersehen werden können. Man glaubt dann in der That bloss längliche Sisse oder Spalten in der Epidermis zu sehen (Kie. 2,3). Auf Querschnitten durch die kapuzenförmig umgeschlagene Blatt- spitze sieht man nur mehr drei Gefässbündel: ein medianes mit engen Tracheiden und zwei laterale, die Randbündel, welche durch den Besitz ausnehmend weiter Tracheiden mit netzförmig verdickten Wandungen ausgezeichnet sind. Sie anastomosiren schliesslich mit dem medianen Bündel; ihre Tracheiden werden immer kürzer und nehmen endlich ganz den Charakter von »Speichertracheiden« an. Mit wenn auch schmalen Membran- streifen grenzen diese Endtracheiden direct an die Intercellular- räume des Chlorophyliparenchyms (Taf. III, Fig. 8); dieselben münden dann in die Athemhöhlen der Wasserspalten. Die an die weitlumigen Endtracheiden angrenzenden Parenchymzellen sterben in alternden Blättern ab, ihr Plasma verschwindet, ihr Lumen ist bloss mit wässerigem Inhalt erfüllt. In diesem Stadium wird das ausgepresste Wasser auch durch die eben erwähnten Zellen filtriren können. Übrigens sind die Membrantheile, mit welchen die Endtracheiden an die Intercellularen grenzen, so häufig, dass durch sie allein wohl eine genügendeDruckfiltration

stattfinden kann.

Den späteren Laubblättern scheinen Wasserspalten fast immer zu fehlen. Wie hier die Wasserausscheidung erfolgt, durch die Luftspalten oder durch Risse in der Oberhaut, habe ich nicht untersucht.

An den Keimpflanzen der übrigen Getreidearten kehren ganz ähnliche Verhältnisse wieder, wie beim Roggen. Die Scheidenblätter weisen typische Wasserspalten auf, Epitheme fehlen. Bei Avena sativa findet man unter der Blattspitze beider- seits an den Kanten 3—5 längliche Wasserspalten vor; die

90 G. Haberlandt,

Schliesszellen sind unbewesglich, dieSpalte kann nicht verengert werden.! Fig. 13 zeigt, wie die Tracheiden direct an die Inter- cellularräume grenzen. Fig. 9 stellt den Theil eines Querschnittes durch die Spitze des zweiten Laubblattes einer Keimpflanze von Triticum vulgare dar. Man sieht wie die grosse Tracheide des Leitbündels an zwei Stellen direct an die in die Wasserhöhle einmündenden Intercellularen stösst. Auch das Scheidenblatt von Zea Mais besitzt Wasserspalten (Fig. 10, 11).

Wenn schon der anatomische Bau dieser Blattspitzen kaum einen Zweifel darüber zu lässt, dass die Wasserausscheidung durch Druckfiltration erfolgt, so geht dies überdies auch noch daraus hervor, dass wenn man die Blattspitzen durch Berührung einer mit siedendem Wasser gefüllten Eprouvette abtödtet, am nächsten Morgen die Tropfenausscheidung ebenso schön zu beobachten ist wie vorher. Eine active Betheiligung derzwischen den Tracheidenenden und den Wasserspalten gelegenen Paren- chymzellen am Secretionsprocesse ist demnach gänzlich aus- geschlossen.

Vicia sepium.

Nach Volkens? kommen bei den Papilionaceen keine eigentlichen Wasserspalten vor. Doch spricht er die Ver- muthung aus, dass in dieser Familie Wasserausscheidung durch die gewöhnlichen Spaltöffnungen der Blattoberseiten stattfindet, welche von den Spaltöffnungen der Unterseiten in Form und Grösse oft abweichen. Die Trichom-Hydathoden, welche bei den Papilionaceen ziemlich verbreitet sein dürften, sind Volkens unbekannt geblieben. ;

Wie im nächsten Capitel ausführlicher gezeigt werden soll, kommen bei Vicia sepium auf den Oberseiten derFiederblättchen kurze Keulenhaare vor, welche, solange die Blätter noch ganz jung sind, als Hydathoden fungiren. An älteren, ausgewachsenen Blättern bleiben aber bei Druckversuchen die Oberseiten der Fiederblättchen trocken und bloss an den Blattspitzen ist ober-

1 Die Wasserspalten des Scheidenblattes von Avena sind bereits von Rothert (Über Heliotropismus, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, VII. Bd. Heft 1) beobachtet worden.

2E. e., p. 194 und 208.

Das tropische Laubblatt. En

seits nach beginnender Injection je ein ziemlich grosser Wasser- tropfen wahrzunehmen. Hier treten auch, zumeist unmittelbar über der Endigung des medianen Gefässbündels, 5—8 Stomata auf, die wie gewöhnlicheLuftspalten gebaut sind (Taf. III, Fig. 1). Auf Querschnitten durch die Blattspitze sieht man, dass die randständigen Tracheiden des Bündelendes sich oft ziemlich weit gegen das Chlorophyliparenchym vorschieben, ja zuweilen sogar kurze Zweige in dasselbe entsenden. Diese zu äusserst gelegenen, meist relativ weitlumigen Tracheiden sind es, welche mit schmäleren oder breiteren Membranstreifen direct an die nen llangen Seren zeni@Kar II], Biel) Betztere sind in der Nähe der Tracheiden noch eng, erweitern sich aber bald beträchtlich und münden in die grossen Athemhöhlen der oben erwähnten Spaltöffnungen. Ein eigentliches Epithem ist nicht vorhanden, doch kann die vermehrte Anzahl eng- und weit- lumiger Hadromparenchymzellen, welche ohne scharfe Grenze in das darüber befindliche Chlorophyliparenchym übergehen, als erste Andeutung eines rudimentären Epithemgewebes auf- gefasst werden. Der Mangel einer das Intercellularsystem der Hydathode von den Intercellularen des benachbarten Assimila- tionsgewebes abgrenzenden Scheide bedingt es, dass vor der Wasserausscheidung eine locale Injection des Mesophylis mit Wasser eintritt.

Wir haben es hier also mit noch sehr unvollkommen ge- bauten Hydathoden zu thun, die in histologischer Hinsicht bloss durch den Umstand: charakterisirt sind, dass an diesen Stellen die Tracheiden direct an Intercellularen grenzen und dass eine Gruppe gewöhnlich gebauter Spaltöffnungen darüber auftritt, die als Wasserspalten fungiren. In physiologischer Hinsicht kennzeichnen sie sich durch die streng localisirte Wasseraus- scheidung, welche natürlich ein blosser Filtrationsprocess ist.

Vicia sepium lehrt uns in interessanter Weise, wie bei einer Pflanzenart im Laufe der ontogenetischen und wohl auch der phylogenetischen Entwickelung ein Typus von Hydathoden den anderen ablöst. An noch jungen, unausgewachsenenBlättern secerniren bloss die kurzen Keulenhaare. Dieselben verlieren aber sehr bald die Fähigkeit Wasser auszupressen und fungiren nur mehr als wasserabsorbirende Organe. An ihrer Stelle über-

92 . G. Haberlandt,

nehmen nun die Hydathoden der Blättchenspitzen die Wasser- ausscheidung. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass diese letzteren die phylogenetisch jüngeren Organe sind; und möglich ist es, dass sie,wenn sie im Laufe der weiteren phylogenetischen Entwickelung sich allmälig vervollkommnen und zu typischen Epithem-Hydathoden mit Wasserspalten werden, die in Rück- bildung begriffenen Trichom-Hydathoden auch schon an jungen Blättern ersetzen. Vielleicht ist bei anderen Arten dieses Stadium bereits erreicht.

Ill. Die Beziehungen der Hydathoden zu anderen Secretions- und Absorptionsorganen.

Da die Hydathoden niemals reines Wasser, sondern mit demselben stets auch andere Stoffe, welche theis organischer, theils anorganischer Natur sind, ausscheiden, beziehungsweise absorbiren, so war mit der Weiterbildung dieser Fähigkeit die Möglichkeit der Anpassung an ganz specielle Functionen, der Eintritt eines Functionswechsels der Hydathoden gegeben.

So sind die sogenannten »Kalkdrüsen« verschiedener Sarifraga-Arten bekanntlich nichts anderes, als typisch ge- baute Epithem-Hydathoden, die mit dem Wasser auch beträcht- liche Mengen von Kalk ausscheiden, der nach Verdunstung des Wassers in Form von Schüppchen zurückbleibt.” Auch die spaltöffnungslosen Hydathoden vieler Farnblätter fungiren zu- gleich als kalkausscheidende Organe. Endlich sind auch die epidermalen »Kalkdrüsen« der Plumbagineen, wie Volkens? nachgewiesen hat, von epidermalen Wasserdrüsen abzuleiten, welche bei den meisten Armeria-, vielen Plumbago- und Statice- Arten noch ausschliesslich als Wasserausscheidungsorgane, beziehungsweise Absorptionsorgane fungiren. Dass die Kalkausscheidung dieser Pflanzen nicht bloss die Bedeutung eines excretorischen Vorganges besitzt, sondern auch mit einem biologischen Vortheil Transpirationsschutz verbunden ist, wurde bereits von vw. Kerner ((kllanzenleben I2Bd., pr2/l0237) und Volkens hervorgehoben.

I Vergl. de Bary, Vergl. Anatomie, S. 113, 114.

2 Berichte der deutschen bot. Gesellsch., I. Bd., 1884, S. 334 ff. Vergl. auch M. Woronin, Bot. Ztg. 1885, S. 177 ft.

Sau

Das tropische Laubblatt. I8

Auch die Digestionsdrüsen verschiedener insecti- vorer Pflanzen stammen zweifelsohne von. trichomatischen Hydathoden ab. Bereits Goebel! hat darauf hingewiesen, dass sich Formen, wie Drosera, Pinguicula, Nepenthes auf einen gemeinsamen biologischen Gesichtspunkt zurückführen lassen, »wenn man die Thatsache berücksichtigt, dass es Pflanzen sind, die an feuchten, und zwar nicht nur bodenfeuchten, sondern namentlich auch luftfeuchten Standorten wachsen, an denen die verringerte Transpiration ersetzt wurde durch Wasseraus- scheidung, und zwar in einer Form, welche unter Umständen eine Wiederaufnahme gestattet, indem das ausgeschiedene Wasser nicht abläuft, sondern entweder in becherförmigen Behältern, oder in Schleimtroptien festgehalten wird.«

Ein sehr schönes Beispiel für die Abstammung der Digestionsdrüsen von Trichom-Hydathoden bildet die Gattung Pingnicula. Bei P. vulgaris, auf welche sich die nachstehenden Angaben beziehen, treten auf der Blattoberseite bekanntlich zweierlei Drüsen auf: sitzende Drüsen (Taf. IV, Fig. 4), deren niedere, scheibenförmige Stielzelle sowie die Fusszelle unter das Niveau der Epidermisaussenwände eingesenkt ist und lang- gestielte Drüsen, deren Stiel aus 2—4 Zellen besteht und dessen oberste kurze Zelle sich stark in den Drüsenkörper hineinwölbt. Der scheibenförmige Drüsenkörper besteht bei den sitzenden Drüsen gewöhnlich aus acht Zellen, indem nach erfolgter Quadrantentheilung noch vier anticline Wände gebildet werden, während derselbe bei den gestielten Drüsen durch das Auftreten einer grösseren Anzahl anticliner Wände in 16—20 schmale, radialgestellte Zellen zerfällt. Im lebenden Zustande lassen sich in den Drüsenzellen die Vacuolen nur sehr schwer vom Plasma unterscheiden; der Zellinhalt erscheint bei mittelstarker Ver- srösserung gleichmässig blass grünlich gefärbt; bloss die kleinen Eiweiss-Krystalloide der Zellkerne sind deutlich zu erkennen. Erst nach erfolgter Fixirung und Tinction, zZ. B. mit Methylgrün- Essigsäure, sieht man deutlich, dass die Plasmakörper der sitzenden Drüsen wabig gebaut sind, indem um eine centrale Plasmaansammlung herum, welche den Kern enthält, dasPlasma

I Pflanzenbiologische Schilderungen, I]. Theil. 2. Lief. 1893, S. 164, 165.

94 G. Haberlandt,

von zahlreichen grossen und kleinen Vacuolen durchsetzt wird. (Taf. IV, Fig. 8). In den schmalen Zellen der gestielten Drüsen- körper befindet sich in der Mitte eine bis zu Wänden reichende, den Kern enthaltende Plasmaansammlung, während gegen die Peripherie und das Centrum der Drüsenscheibe zu das Zell- lumen von einigen grossen Vacuolen erfüllt wird (Fig. 9).

Schon v. Kerner! hat auf die Wahrscheinlichkeit hinge- wiesen, dass zwischen den gestielten und den sitzenden Drüsen eine Arbeitstheilung in dem Sinne besteht, dass die ersteren nur klebrigenSchleim zum Festhalten des Insecten aussondern, während die letzteren das saure Verdauungssecret secerniren. Man kann sich in der That leicht davon überzeugen, dass die sitzenden Drüsen im ungereizten Zustande keinen Schleim ausscheiden. Man braucht bloss die Blattoberfläche mit in Wasser feinvertheiltem Carmin zu begiessen, sodann rasch ab- zuspülen und einen Oberflächenschnitt zu betrachten. Da sieth man sofort, dass bloss den Köpfchen und Stielen der gestielten Drüsenhaare Carminpartikelchen anhaften, während die sitzen- den Drüsen vollkommen frei davon sind. Nur die gestielten Drüsen sind demnach Fanghaare; es ist auch leicht einzusehen, dass der Besitz von längeren Stielen für diese ihre Function von Vortheil ist. Die sitzenden Drüsen dagegen beginnen erst auf den Reiz hin, den das todte Insect auf sie ausübt, zu secer- niren. Sie gleichen darin insoferne den Hydathoden, als auch diese erst auf einen allerdings ganz anders gearteten Reiz hin mit der Wasserausscheidung beginnen. Natürlich ist nicht aus- geschlossen, vielmehr sogar sehr wahrscheinlich, dass nachdem das Insect gefangen, auch die gestielten Drüsen an der Aus- sonderung des Verdauungssecretes betheiligt sind.

Während die Blattoberseite bloss Fanghaare und Digestionsdrüsen aufweist, kommen auf der Blatt- unterseite typisch gebaute Trichom Hydathoden vor, welche in Bezug auf ihren Bau mit den sitzenden Drüsen der Blattoberseite die grösste Ähnlichkeit zeigen. Schon Goebel? hat diese Drüsenhaare der Unterseite beobachtet und in Kürze beschrieben. Sie sind kleiner und auch nicht so zahlreich wie

1 Pflanzenleben, I. Bd., S. 133. 2 Pflanzenbiologische Schilderungen, II. Theil, 1. Lief., S. 120.

Das tropische Laubblatt. 38

die sitzenden Digestionsdrüsen der Blattoberseite (Taf.1V, Fig. 3). Das Köpichen ragt nicht über das Niveau der Epidermis hervor. Es besteht gewöhnlich bloss aus vier durch Ouadrantentheilung entstandenen Zellen; häufig treten noch 1—3 anticline Wände hinzu. Der Inhalt der Zellen zeigt im lebenden Zustande genau dieselbe blass-grünliche Farbe, wie die Drüsen der Oberseite (Fig.5); auch die Plasmavertheilung ist, wie fixirte Drüsen lehren, genau dieselbe (Fig. 6, 7). Die eingesenkte, scheibenförmige Stielzelle (Goebel’s Mittelzelle) besitzt sehr stark ceutini- sirte Seitenwände, wie wir dies so häufig bei köpfchen- und schuppenförmigen Hydathoden beobachtet haben. Auch die scheibenförmige Stielzelle der sitzenden Drüsen der Öber- seite ist mit stark cutinisirter Seitenwand versehen, so dass die Ähnlichkeit sich auch auf diesen sehr charakteristischen Punkt erstreckt. Endlich sind auch die Fusszellen vollkommen gleich gebaut.

Nach Goebel sollen auch die geschilderten Drüsenhaare der Unterseite Schleim absondern. Ich kann diese Angabe nicht bestätigen. Die Blattunterseiten sind zwar sehr häufig, nament- lich des Morgens, stark benetzt, doch zeigt diese Flüssigkeit keine Spur von schleimiger Beschaffenheit. Da sich nicht sicher angeben lässt, ob diese Wassertröpfchen Thau oder ausgeschie- denes Wasser sind, so führte ich mit einem ausgewachsenen. gut entwickelten Blatte einen Druckversuch aus. Der untere Theil des Blattes wurde in einen halbirten Korkpfropf geklemmt, wobei die Mittelrippe in eine entsprechend ausgeschnittene Rinne zu liegen kam. Mit Klebwachs wurde sodann ein wasser- dichter Verschluss hergestellt. Im Übrigen wurde dann der Versuch in gewohnter Weise (vergl. die erste Abhandlung) durchgeführt. Die Höhe der Ouecksilbersäule betrug 17 cm. Baches? 7Stunden erscehiemen auf der Blattunterseite kleine Wassertröpfchen, auf der Blattoberseite wurden die Schleimtropfen der gestielten Drüsenhaare etwas grösser, da- zwischen wurde aber kein Wasser ausgeschieden. Der von dem gesteigerten hydrostatischen Druck im Wasserleitungssystem ausgeübte Reiz veranlasst demnach nur die Hydathoden der Unterseite zur Secretion, von den sitzenden Drüsen der Ober- seite wird er nicht perecipirt.

96 G. Haberlandt,

Dass die Drüsenhaare der Blattunterseite auch Wasser absorbiren, geht aus den angestellten Wasseraufsaugungsver- suchen, combinirt mit Lebendfärbung hervor. Abgeschnittene Blätter welken sehr rasch, erholen sich aber, wenn die Blatt- unterseite benetzt wird, bald wieder und werden vollkommen turgescent. So wog zZ. B. ein frisches Blatt O-11g. Nach °/, stün- digem Welken betrug sein Gewicht nur noch 0 092 g.Nun wurde die Unterseite in der Weise benetzt, dass die Wasseraufnahme mittelst derSchnittfläche ausgeschlossen war. Nach einer halben Stunde war das Blatt wieder ganz turgescent geworden. Sein Gewicht betrug jetzt 0:108g, was einer Wasseraufnahme von 14°/, des Frischgewichtes entspricht. Noch rascher erfolgt aber die Wasseraufnahme welker Blätter, wenn bloss die Oberseite benetzt wird. Die Digestionsdrüsen fungiren eben auch noch als wasserabsorbirende Organe und da sie zahlreicher und grösser sind als die Hydathoden der Blattunterseite, so erscheint es ganz begreiflich, dass die Wasseraufsaugung seitens der Blattober- seite rascher vor sich geht.

Lebendfärbungsversuche mit 0:0005°/,iger Methylenblau- lösung ergaben schon nach wenigen Stunden ein positives Resultat. Nach 12 Stunden sind in den Drüsenköpfchen der Hydathoden sowohl wie der Digestionsdrüsen (und zwar der sitzenden, wie der gestielten Drüsenhaare) intensiv blauge- färbte kugelige Blasen zu beobachten, und zwar in der Regel in jeder Zelle eine grosse und ziemlich zahlreiche bedeutend kleinere Bläschen. Die’ Epidermis- und Spaltöffnungszellen bleiben vollkommen farblos. Ein näheres Eingehen auf-den Vorgang der Farbstoffispeicherung lag nicht im Plane der vor- liegenden Untersuchung.

Die noch nicht insectivoren Vorfahren von Pinguicula haben demnach höchst wahrscheinlich auf beiden Blattseiten wasserausscheidende und -aufsaugende Drüsenhaare von unge- fähr jenem Bau besessen, welchen die Hydathoden der Blatt- unterseite von Pingnicula noch heute aufweisen. Die Drüsen- haare der Blattoberseite mögen dabei sehr bald ein etwas schleimiges Secret ausgeschieden haben, und zwar zu dem bereits von Goebel angedeuteten Zwecke: um das ausgeschie- dene Wasser festzuhalten, vielleicht auch langsamer verdampfen

Das tropische Laubblatt. ST

zu lassen und so eventuell wieder absorbiren zu können. Damit war die Möglichkeit des zunächst rein zufälligen Insectenfanges gegeben, und nun entwickelten sich die Hydathoden der Blatt- oberseite zur vollständigeren Ausnützung des mit dem Insecten- fange verbundenen Vortheils zu Digestionsdrüsen weiter, wobei dann auch die bereitsoben angedeutete Arbeitstheilung zwischen sitzenden und gestielten Drüsenhaaren sich einstellte.

Bei den Nepenthes-Arten kommen auf Ober- und Unterseite des spreitenförmigen, assimilirenden Blattgrundes, ferner auch auf dem rankenförmigen Theile des Blattes und auf der Aussen- seite der Kanne braune Schuppenhaare vor, welche man ihrem Bau nach ohneweiters als Hydathoden bezeichnen möchte. DieSchuppe selbst ist mehr oder minder regelmässig sternförmig gelappt und besteht bei N. destillatoria in der Regel aus acht Zellen (Taf. IV, Fig. 11). Bei N. gracilis kommt es bloss zur Quadrantentheilung, so dass die Schuppe Kreuzform an- nimmt (Fig. 12). Auffallend ist, dass dieser Theil des Haares schon sehr frühzeitig abstirbt und eine lebhaft braune Farbe zeigt. Das in einer trichterförmigen Einsenkung sitzende Schuppenhaar geht nach unten zu allmälig in einen aus mehreren Zelletasen, bestehenden Stiel’ über: (Bier 10). Die oberste, an die abgestorbene braune Schuppe grenzende Etage zeigt gewöhnlich noch Quadrantentheilung, die zwei unteren Etagen sind bei N. destillatoria einzellig, scheibenförmieg. Sämmtliche Zellen des Stieles besitzen stark ausgebildete, lebende Plasmakörper. Auch die grosse, blasige Fusszelle ist sehr plasmareich und weist einen ziemlich grossen Zellkern auf. Besonders auffallend ist die starke Verdickung und Cutinisirung des Randes der Scheidewand zwischen Stiel und Fusszelle, eine bei Trichom-Hydathoden so häufig zu beobachtende Erscheinung.

In dem Falle, als die geschilderten Schuppenhaare that- sächlich als Hydathoden fungiren sollten, könnten natürlich nur die plasmareichen, lebenden Zellen des Stieles und eventuell die Fusszelle als wasserausscheidende und -absorbirende Ele- mente in Betracht kommen Die schon sehr frühzeitig ab- sterbende Schuppe dagegen könnte höchstens die Bedeutung einer Schutzdecke besitzen.

Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CIV. Bd., Abth. 1.

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95 G. Haberlandt,

Wenn ich im Vorstehenden die Frage, ob die Schuppenhaare des spreitenförmigen Blattgrundes von Nepenthes als Hyda- thoden fungiren, offen liess, so geschah dies in Hinblick darauf, dass meine diesbezüglichen Beobachtungen und Experimente einander widersprechen. Im Buitenzorger Garten habe ich wieder- holt am frühen Morgen auf den Oberseiten der »Blattspreiten« reichliche Tropfenausscheidung beobachtet, und zwar haupt- sächlich bei solchen Blättern, deren Kannen noch nicht entwickelt waren. So zeigte z. B. ein Spross von N. gracilis um /,7 Uhr Früh nachstehendes Verhalten: das jüngste Blatt, noch unaus- gewachsen und halb gefaltet, war ganz trocken. Die Spreite des nächsten, vollkommen ausgewachsenen Blattes mit erst 2cm langer Kanne war oberseits reich betropft. Das dritte Blatt mit ausgewachsener, reichlich Flüssigkeit enthaltender Kanne war oberseits ganz trocken. Das vierte Blatt, dessen Kanne zahl- reiche Insectenleichen aber nur wenig Flüssigkeit enthielt, war oberseits schwach betropft. Aus diesem Verhalten schien also hervorzugehen, dass die Schuppenhaare der Spreiten Wasser secerniren, solange die »Digestionsdrüsen« der Kannen noch unthätig sind und keine Flüssigkeit ausscheiden. Druck- versuche habe ich leider in Buitenzorg nicht angestellt. Die im Grazer botanischen Institut und im Gewächshause angestellten Versuche ergaben aber ein negatives Resultat. Zu den Versuchen wurden sowohl einzelne Blätter wie auch ganze Sprosse von Nepenthes destillatoria und gracilis verwendet. Die Höhe der Quecksilbersäule betrug 17—22cm. An älteren wie jüngeren Blättern blieben die Spreitentheile selbst nach 24 Stunden bei- derseits vollkommen trocken, dafür trat eine mehr oder minder starke, gleichmässige, oder längs der Mittelrippe aus- gesprochenere Injection der Intercellularen mit Wasser ein. Dieses Ergebniss steht also mit meinen Beobachtungen im Buitenzorger Garten in Widerspruch. Worauf derselbe beruht, vermag ich nicht anzugeben. Vielleicht sind die Schuppenhaare unserer Gewächshausexemplare functionsunfähig, was mit Rücksicht auf die Empfindlichkeit der Nepenthes-Pilanzen, welche bei der Cultur in unseren Gewächshäusern auch in morphologischer Hinsicht manche Anomalien zeigen,nicht ganz unwahrscheinlich ist. Auch an die Möglichkeit ist zu denken, dass die Schuppen-

Das tropische Laubblatt. 99

haare in Folge des Wundreizes und überhaupt der anomalen Verhältnisse, die durch die Versuchsanstellung gegeben sind, ihren Dienst versagen. Nach meinen Erfahrungen gehören die Hydathoden überhaupt zu den empfindlichsten Organen des Blattes, welche schädlichen Einflüssen gegenüber am frühesten ihre Thätigkeit einstellen.

Ein etwas günstigeres Resultat ergaben die im Grazer botanischen Institut angestellten Wasseraufsaugungsversuche. Ein noch junges, aber ausgewachsenes Blatt von N. gracilis mit unentwickelter Kanne wog frisch 2:985g, nach 1!/, stün- digem Welken 2°6358. Mit Ausschluss der Schnittfläche unter Wasser getaucht betrug sein Gewicht nach 5 Stunden 2:73 8, was einer Gewichtszunahme von 3:2°/, entspricht; das Blatt war noch ziemlich welk. Nach 21 Stunden wog es 29058; Gewichtszunahme 9°/,. Es war nun wieder ganz turgescent geworden. Geringer war die Wasseraufnahme welker Blätter von N. destillatoria. Bei einem in Buitenzorg angestellten Ver- suche mit wässeriger Eosinlösung waren die Drüsenschuppen von N. destillatoria sammt den Stielen nach einer Viertelstunde roth, die Fusszellen blassroth gefärbt. Lebendfärbungsversuche mit 0:0005°/, iger Methylenblaulösung (in Graz angestellt) er- gaben nach 24 Stunden eine intensive Blaufärbung der sehr gerbstoffreichen abgestorbenen Schuppe, während der lebende Stiel und die Fusszelle erst nach 2 Tagen eine blassblaue Färbung erkennen liessen. Bei vielen Drüsen blieben Stiel und Fuss ganz ungefärbt.

Aus all dem Mitgetheilten ergibt sich, dass die auf den Blattspreiten von Nepenthes vorkommenden Schuppenhaare zwar den anatomischen Bau von Hydathoden besitzen, dass aber ihre wasserausscheidende Function ungewiss, ihre wasser- aufsaugende Thätigkeit nicht eben energisch ist. Es scheinen hier also in physiologischer Rückbildung begriffene Organe vorzuliegen. Andererseits dürfte die phylogenetische Verwandt- schaft der Digestionsdrüsen der Kannen mit den geschilderten Schuppenhaaren der Spreiten aus morphologischen wie physio- logischen Gründen nicht zu bezweifeln sein. Wir können uns also von der Entwickelung der Nepenthes-Arten als insectivorer Pflanzen das folgende, allerdings nur hypothetische Bild ent-

mil

7#

100 G. Haberlandt,

werfen. Bei den noch kannenlosen Vorfahren von Nepenthes traten auf den Blättern typische Hydathoden auf, welche unge- fähr jenen Bau besessen haben dürften, welchen die Schuppen- haare der Blattspreiten von Nepenthes noch heute besitzen. Nun wurden, wie bereits Goebel angedeutet hat, zum Zwecke der Aufsammlung und späteren Absorption des ausgeschiedenen Wassers die Kannen ausgebildet. Natürlich war es jetzt vor- theilhaft, dass die Hydathoden an den Innenseiten der Kannen eine gesteigerte Ausbildung erfuhren, während jene des spreiten- förmigen Blattheiles der physiologischen Rückbildung anheim- fielen. Aus den Vortheilen des zuerst zufälligen Insectenfanges ergaben sich dann secundär alle jene speciellen Anpassungen, welche die Nepenthes-Arten zu so interessanten insectivoren Pflanzen machen.

Dass auch die extranuptialen Nectarien in vielleicht zahlreichen Fällen von Hydathoden abstammen, dürfte kaum zu bezweifeln sein. Ich habe dabei zunächst bloss jene Nectarien im Auge, welche aus Gruppen von drüsigen Keulen- und Schuppenrhaaren bestehen, die eine zuckerhältige Flüssigkeit ausscheiden. Die bereits im I. Theile dieser Abhandlung mit- getheilte Thatsache, dass der Zellinhalt der auf den Blattnerven von Phsseolus maultiflorus sitzenden, wasserausscheidenden Keulenhaare die Zuckerreaction zeigt, sodann auch der Um- stand, dass diese Haare besonders reichlich an den Stipellen und Nebenblättern auftreten, veranlasste mich, die Beziehungen der extranuptialen Nectarien verschiedener Vicia-Arten zu der. in Rede stehenden Hydathoden genauer ins Auge zu fassen. Bei Vicia sepium (u. A.) tritt bekanntlich! auf der Unterseite jedes Nebenblattes ein Nectarium auf, welches aus dicht neben- einander stehenden Keulenhaaren besteht; dazwischen befinden sich einzelne 3—6mal solange, in eine dünneSpitze auslaufende Haare. Jedes Keulenhaar weist eine Fusszelle, eine kurze Stiel- zelle und zwei Etagen von Drüsenzellen auf; jede Etage besteht in der Regel aus einem Zellenpaare. Die Drüsenzellen enthalten einen stark ausgebildeten Plasmakörper und, wie schon deBary angibt, »stark lichtbrechende, dichte, kugelige Anhäufungen

! Vergl. deBary, Vergl. Anatomie, S. 101.

Das tropische Laubblatt. 101

und Körner bildende Körper« nebst farblosem Zellsaft. Die stark lichtbrechenden Anhäufungen sind, wie dieReaction mit Kalium- bichromat und mit Eisensulfat, ferner die Lebendfärbung mit Methylenblau ergibt, nichts anderes als Gerbstoffballen.

Ganzähnlich gebaute Keulenhaare treten nun auch ziemlich reichlich auf den Öberseiten der Fiederblättchen auf, besonders über den Leitbündeln; oft sind sie einander paarweise genähert. Den Unterseiten der Blättchen fehlen sie. Ihr Stiel ist, wie bei den Keulenhaaren der Feuerbohne gekrümmt. Der Inhalt des aus zwei Zellenpaaren bestehenden Drüsenkopfes stimmt, so- weit die mikroskopische Untersuchung der lebenden Haare

«lehrt, vollkommen mit dem der Nectarienhaare überein. Auch hier finden wir wieder jene stark lichtbrechenden Anhäufungen vor, welche den oben erwähnten Reactionen zu Folge aus Gerb- stoff bestehen. Bei der Kupferreaction (nach Arth. Meyer) tritt in den Keulenhaaren der Fiederblättchen keine Abscheidung von Kupferoxydul ein, während die Nectariumdrüsenhaare im durchfallenden Licht ganz schwarzbraun erscheinen.

Da kein Zweifel darüber bestehen kann, dass die drüsigen Keulenhaare der Fiederblättchen und jene der Nectarien an den Nebenblättern morphologisch ganz gleichwerthige Gebilde sind, so bleibt jetzt nur noch der Nachweis übrig, dass die Keulen- haare der Fiederblättchen als Hydathoden fungiren. Ein Druck- versuch mit einem mehrblättrigen Spross (Höhe der Ouecksilber- säule 1IScm) ergab nachstehendes Resultat. Nach zwei Stunden zeisten die Spitzen der Fiederblättchen ausgewachsener Blätter beginnende Injection. Hier trat auch oberseits, wo sich eine Anzahl von Wasserspalten befindet, je ein ziemlich grosser Wassertropfen aus. Sonst waren die Blattfiedern beider- seits trocken. Auch die Nectarien der jüngeren Nebenblätter hatten bereits grosse Flüssigkeitstropfen secernirt. Nach 24 Stunden zeigten die älteren ausgewachsenen Blätter keine Ver- änderung. Die Wasserausscheidung an den Spitzen der Fieder- blättchen dauerte fort. An den jüngeren Blättern war die Injection der Intercellularen weiter vorgeschritten. Nun traten auch unter- seits an einzelnen Stellen Tropfen aus. Oberseits sah man zahl- reiche winzig kleine Tröpfchen, die zweifelsohne von den Keulenhaaren secernirt wurden. Die halb gefalteten Fieder-

102 G. Haberlandt,

blättchen noch unausgewachsener Blätter waren oberseits, namentlich über den Leitbündeln, ganz benetzt.

Die Keulenhaare der jungen, noch unausgewachsenen Fiederblättchen fungiren demnach als Wasserdrüsen. Bald aber treten sie ihre Aufgabe an die Wasserspalten der Blättchen- spitzen ab, durch welche auch noch an älteren Blättern Wasser austritt.

Welke Blätter von Vicia sepium erlangen, mit Ausschluss derSchnittfläche unter Wasser getaucht, sehr bald ihre normale Turgescenz wieder. Ein frisches Blatt, welches 0-182g wog, besass nach einstündigem Welken ein Gewicht von 0'152 8. Unter Wasser getaucht wog es nach 7 Stunden 0:205 8, was einer Gewichtszunahme von 29°/, entspricht. Dass die Wasser- aufnahme durch die Keulenhaare erfolgt, geht auch aus den Lebendfärbungsversuchen mit 0:0005°/, iger Methylenblau- lösung hervor. Nach 6 Stunden sind die Gerbstoffballen der Keulenhaare schwach, nach 24 Stunden ziemlich intensiv blau gefärbt, während die Epidermiszellen, obgleich auch sie ziemlich gerbstoffhältig sind, vollkommen farblos bleiben. Auch die Drüsenhaare der Nectarien zeigen Lebendfärbung, allerdings in etwas weniger intensivem Maasse, als die der Laubblätter.

Die Keulenhaare der Fiederblättchen von Vicia sind also wie jenevon Phaseolus multiflorus sowohl wasserausscheidende wie aufsaugende Organe. Die letztere Function bleibt weit länger erhalten, als die erstere. |

Die phylogenetische Entwickelung der extranuptialen Nec- tarien der Vicia-Arten ist demnach zweifelsohne die gewesen, dass an den Nebenblättern zuerst, sowie bei Phaseolus multi- florus, in grösserer Anzahl wasserausscheidende Drüsenhaare aufgetreten sind. Die secernirte Flüssigkeit, welche anfänglich bloss ganz geringe Zuckermengen enthielt, wurde von Ameisen aufgesucht und der damit für die Pflanze verbundene Vortheil hatte die Weiterbildung der Hydathoden zu Nectarium-Drüsen- haaren im Gefolge. Der anatomische Bau der Drüsenhaare er- fuhr dabei keine nennenswerthe Veränderung, wohl aber ver- änderte sich dieZusammensetzung der ausgeschiedenen Flüssig- keit und die Vorbedingung für den Eintritt der Ausscheidung. DieseVorbedingung besteht für dieHydathoden in einer gewissen

Das tropische Laubblatt. 105

Steigerung des hydrostatischen Druckes im Wasserleitungs- system. Bei den Nectarien begünstigt und vermehrt zwar eine solche Steigerung die Nectarabsonderung, sie ist aber keine nothwendige Vorbedingung mehr, da auch an abgeschnittenen und in Wasser gestellten Sprossen von Vicia sepium und V. faba die Nectarien der jüngeren Nebenblätter ziemlich reichlich secerniren. Natürlich war es für die biologische Aufgabe der Nectarien nur von Vortheil, dass sich ihre Drüsen- haare in ihrer Function von dem durch die Drucksteigerung im Wasserleitungssystem gebotenen Reize unabhängig gemacht haben.!

In wie weit sich andere Bautypen der extranuptialen Nec- tarien von entsprechend anderen Bautypen der Hydathoden ableiten lassen, bleibt künftigen Untersuchungen vorbehalten.

IV. Zusammenfassung und Schlussbemerkungen.

Überblicken wir die im I. und Il. Theile dieser Abhandlung beschriebenen Typen im Bau der Hydathoden, so ergibt sich folgende Übersicht:

BrEkyidarchloden ohmerdireeten Anschluss an’das

Wasserleitungssystem.

1. Einzellige Hydathoden: Umgewandelte Epidermis- zellen (Gonocaryum pyriforme, Anamirta Cocculus).

2. Mehrzellige Hydathoden: Trichome; gewöhnliche

Haare, Keulen-, Köpfchen- und Schuppenhaare (Ma-

1 Ich lasse es dahingestellt, ob die Unabhängigkeit der Function der

‚Nectarien vom Wurzel- und überhaupt vom Blutungsdruck in der Weise erzielt

worden ist, dass, wie Wilson (The cause of the excretion of water on the sur- face of nectaries, Untersuchungen aus dem botanischen Institut zu Tübingen, I. Bd., p. 1 ff) für die Nectarien von Fritillaria und Prunus laurocerasus nach- gewiesen hat, die Secretion auf osmotischer Saugung von ausgeschiedenem Zucker beruht. Als ich von einigen jüngeren Nectarien von Vicia sepium die Nectartropfen mittelst Filterpapier entfernte, war am nächsten Tage neuerlich Nectarausscheidung zu beobachten. Auch durch Auswaschen der Nectarien mit Wasser konnte die Secretion nicht sistirt werden; nach zwei Tagen waren neuerdings kleine Nectartropfen über den ausgewaschenen Nectarien zu beob- achten. Das Auswaschen muss allerdings in der schonendsten Weise geschehen, um die zarten Drüsenhaare nicht zu verletzen. Jedenfalls findet also wieder- holte Zuckerausscheidung statt.

104 G. Haberlandt,

chaerium oblongifolium, Phaseolus multiflorus, Pipera- ceen, Bignonia brasiliensis, Spathodea campannlata, Artocarpns). I. Hydathoden mit directem Anschlusse an das Wasserleitungssystem. 1. Hydathoden ohne Wasserspalten (Farn-Typus). 2. Hydathoden mit Wasserspalten. a) Hydathoden mit Epithemen.

9. Die Secretion beruht auf activer Wasseraus- pressung seitens des Epithemgewebes (Cono- cephalus ovatus, Ficus Sp.).

ß. Die Secretion beruht auf Druckfitration; das Epithemgewebe ist an der Wasserauscheidung nicht direct betheiligt (Fuchsia).

b) Hydathoden ohne Epitheme. Die Secretion beruht

auf Druckfiltration (Vicia sepium, Secale cereale).

In anatomischer Beziehung sind alle Hydathoden welche activ Wasser auspressen, durch einen mehr oder minder auffallenden Plasmareichthum und durch relativ grosse Zell- kerne ausgezeichnet; sie schliessen sich ın dieser Hinsicht an andere drüsige Organe des Pflanzenkörpers an. Die epidermalen Hydathoden sind entweder dauernd oder wenigstens in ihren ersten Entwicklungsstadien von einer Cuticula überzogen. Die- selbe wird in einigen Fällen schon frühzeitig resorbirt, die darunter befindlichen Celluloseschichten verschleimen; es ent- stehen eigens gebaute, von engen Canälen durchzogene Aus- flussstellen, wie bei Gonocaryum pyriforme und Anamirta Cocculus. In anderen Fällen, wie bei verschiedenen Piperaceen, wird die Cuticula durch ein schleimiges Membransecret abge- hoben und gesprengt. Das austretende Wasser hat dann bloss die innerste, nicht verschleimende Zellhautschicht zu passiren. In der Mehrzahl der Fälle, bei den meisten Trichom-Hydathoden, sowie den »Wassergrübchen« der Farnblätter überzieht die Cuticula dauernd die wasserausscheidenden Zellen. Nur in einem Falle, bei Bignonia brasiliensis, ist es mir gelungen ein in mikrochemischer Hinsicht abweichendes Verhalten der Cuticula über den Wasserdrüsen festzustellen.’ Daraus geht neuerdings die auch schon von anderen Forschern constatirte

Das tropische Laubblatt. 105

Thatsache hervor, dass die Cuticula nicht an allen Stellen für Wasser schwer permeabel ist.! Ob diese über den Hydathoden so bedeutende Durchlässigkeit der Cuticula auf einem ab- weichenden chemischen Verhalten beruht, oder auf besonderen Structureigenthümlichkeiten etwa dem Vorhandensein von äusserst feinen Poren, welche sich der mikroskopischen Wahr- nehmbarkeit entziehen, diese Frage lässt sich derzeit nicht beantworten.

Wenn wir nach anderen gemeinschaftlichen Zügen im anatomischen Bau der Hydathoden suchen, so kommen zu- nächst die Trichom-Hydathoden in Betracht. In der »Zusammen- fassung« des I. Theiles dieser Abhandlung wurde bereits her- vorgehoben, dass dieselben am häufigsten als kurzgestielte Köpfchenhaare erscheinen, die im einfachsten Falle bloss aus Ener zellen den Köpfchen, der Stiel, und den’Kusszelle be- stehen. Das Köpfchen fungirt als eigentliches Wassersecretions-, beziehungsweise Absorptionsorgan. Die Stielzelle repräsentirt gewissermassen den mechanischen Apparat des ganzen Organs, indem ihre oft stark verdickten und fast immer ausgiebig cutinisirten Seitenwände einen festen Ring bilden, der die Aus- und Eintrittsöffnung für das Wasser stets gleich weit erhält. Bei Artocarpus polyphemos wurde beobachtet, dass wenn das Köpfchen abstirbt, dieser Ring enorm verdickt wird, so dass ein fast vollständiger Verschluss der Öffnung zu Stande kommt. Dieselbe mechanische Bedeutung kommt auch dem cutinisirten Cellulosering an der Einschürungsstelle der einzelligen Hyda- thoden von Gonocaryum pyriforme zu. Die oft verbreiterte Fusszelle endlich vermittelt den Anschluss an die benachbarte Epidermis und das darunterliegende Gewebe. Sie ist deshalb sehr dünnwandig, und häufig lässt sich beobachten, dass eine möglichst grosse Anzahl von subepidermalen Zellen (nament- lich Palissaden) den unmittelbaren Anschluss an diesen Theil des Organes zu gewinnen sucht. Der Fusszelle entspricht bei Gonocaryum pyriforme der unterste dünnwandige, blasen- förmige Theil der einzelligen Hydathode, der hier zugleich als

I Vgl. ArthurMeyerund A.Dewevre, Über Drosophvllam lusitanicum ; Bot. Centralblatt, LX. Bd. 1894. S. 36.

106 G. Haberlandt,

Druck- und Volumregulator des ganzen Apparates fungiren dürfte.

Eine dritte Kategorie der epidermalen Wasserausschei- dungsorgane wird neben den einzelligen und den Trichom- Hydathoden von den »Wassergrübchen« der Farnblätter ge- bildet. Hier ist eine ganze Gruppe von Epidermiszellen in wasserausscheidende Drüsenzellen umgewandelt. So bilden diese Hydathoden ein Analogon zu den eng umschriebenen »Drüsenflecken« im Sinne de Bary’s.!

Die mit Wasserspalten versehenen Hydathoden be- sitzen in den einfachsten Fällen noch kein Epithemgewebe. Die Tracheidenenden grenzen direct an das Intercellularsystem des Mesophylis, welches mit den »Athemhöhlen« unter den Wasserspalten communicirt. Wenn ein kleinzelliges Epithem- gewebe ausgebildet wird, so kann dasselbe entwickelungsge- schichtlich der Hauptsache nach dem Bündelende selbst ange- hören, wobei die Epithemzellen als umgewandelte Hadrom- parenchymzellen zu betrachten sind; oder das Epithemgewebe ist hauptsächlich grundmeristematischen Ursprungs und als umgewandeltes Chlorophyliparenchym zu deuten. In ersterem Falle umschliesst in der Regel eine Parenchymscheide die unmittelbare Fortsetzung der Leitparenchymscheide des Gefäss- bündels den Epithemkörper; in letzterem Falle geht dieser ganz allmälig in das benachbarte Assimilationsgewebe über. Das meist kleinzellige Epithemgewebe zeichnet sich in den meisten Fällen, wie zuerst Volkens betont hat, durch den Besitz von engen Intercellularen aus, an welche bei Fuchsia, und wohl in allen Fällen, wo die Wasserausscheidung ein blosser Filtrations- process ist, direct die Tracheidenenden grenzen.

In physiologischer Hinsicht lassen sich zwei Haupt- gruppen von Hydathoden unterscheiden, je nachdem die Wasserausscheidung auf einfacher Druckfiltration, oder auf activer Auspressung seitens der Hydathoden beruht. Im ersteren Falle wird die Betriebskraft, welche die Wasserausscheidung bewirkt, durch den Wurzeldruck und überhaupt den Blutungs- druck repräsentirt, welcher im Wurzelsystem, eventuell auch in den Stengeln und Zweigen erzeugt wird. Die Hydathoden

1 Vgl. Anatomie S. 95, 96.

Das tropische Laubblatt. 107

sind dann nichts anderes als die Stellen geringsten Filtrations- widerstandes, an welchen das im Wasserleitungssystem unter einem bestimmten Druck stehende Wasser durch eine vis a tergo ausgepresst wird. Im zweiten Falle dagegen wird die zur Wasserausscheidung nöthige Betriebskraft von den drüsig ge- bauten Hydathodenzellen selbst geliefert, sie entwickeln selbst die Pumpkraft, welche Wasser nach aussen presst, während der im Wasserleitungssystem herrschende Blutungsdruck auf die Hydathoden blos als Reiz einwirkt, der sie veranlasst, einseitig Wasser hervorzupressen.

Die epidermalen Hydathoden sind sämmtlich derartige activ wirkende »Wasserdrüsen«. Bei den einzelligen Hyda- thoden von Gonocaryum und Anamirta weist schon der ana- tomische Bau dieser Organe unzweideutig darauf hin, dass das Wasser vom Plasmakörper der Hydathode nach aussen getrieben wird. Bei den 'Trichomhydathoden begegnet die Annahme einer einfachen Druckfiltration im obigen Sinne schon von vorneherein unüberwindlichen Schwierigkeiten. Man hätte hierbei anzunehmen, dass durch den im Wasserleitungssystem herrschenden Blutungsdruck das Wasser aus den Gefässen und Tracheiden in die Wände der angrenzenden Parenchymzellen getrieben, und in diesen bis in die Wände der Hydathoden weiter gepresst wird, wo es dann schliesslich nach aussen tritt. Durch die Zelllumina kann nämlich das Wasser desshalb un- möglich filtriren, weil der in den Zellen herrschende osmotische Druck die Grösse des in den Gefässen und Tracheiden herrschenden Blutungsdruckes sicherlich stets um ein Be- deutendes übertrifft. Ferner ist es aber auch sehr fraglich, ob der Blutungsdruck ausreichen würde, um die beträchtlichen Reibungswiderstände zu überwinden, welchen das in den Zell- wänden fortgetriebene Wasser auf seinem verhältnissmässig langen Wege von den Wasserleitungsröhren bis zu den Aussen- wänden der Hydathoden begegnen müsste. Das Wasser würde vielmehr gewiss auf nächstem Wege durch die Zellwandungen in die Intercellularräume des Blattes filtriren, was ja auch that- sächlich eintritt, wenn die Hydathoden vergiftet wurden. Das Ausbleiben der Wasserausscheidung nach Vergiftung der Hydathoden beweist nun unzweifelhaft, dass die Pumpkraft

108 G. Haberlandt,

welche das Wasser nach aussen presst, seitens der lebenden Protoplasmakörper dieser Organe entwickelt wird. Denn wenn die Hydathoden blos die Stellen geringsten Filtrationswider- standes wären, so könnte durch die Vergiftung dieser Wider- stand nur verringert, nicht aber so sehr erhöht werden, dass die Druckfiltration unmöglich wäre. Das Wasser könnte jetzt nämlich direct durch die Lumina der getödteten Zellen filtriren. Überdies liegt nicht der geringste Anhaltspunkt für die Annahme vor, dass die Leitungsfähigkeit der Zellwände für Wasser durch die giftige Substanz herabgesetzt wird.

In sehr klarer Weise sprechen endlich bei dem dritten Typus der epidermalen Hydathoden, den Wassergrübchen der Farne, bereits die histologischen Verhältnisse gegen die An- nahme einer einfachen Druckfiltration. Unter den plasmareichen epidermalen Drüsenzellen liegt bei Polypodium aureum u. a. direct die Endodermis des Bündelendes, dann folgt eine paren- chymatische Scheide, welche unmittelbar an die Tracheiden grenzt. Würde nun das Wasser aus diesen durch die radi- alen Wände der darüber befindlichen drei Zelllagen nach aussen filtriren, so müsste dasselbe auch die radialen Wände der Endodermiszellen passiren. Diese sind hier aber genau so verkorkt wie an den Flanken und an der Unterseite des Bündels (Taf. IV, Fig. 1, 2). Man könnte nun einwenden, dass diese ver- korkten Membranstreifen der Endodermis für Wasser ebenso durchlässig sein können wie die zarte Cuticula, welche die »Epidermis« des Wassergrübchens bedeckt. Dagegen ist aber geltend zu machen, dass die oberflächlich gelegenen Drüsen- zellen eines cuticularen Schutzes bedürftig sind, während nicht recht einzusehen ist, warum die radialen Wände der Endo- dermiszellen unmittelbar unter der Drüsenzellschicht verkorkt sein müssen. Dem sei nun wie ihm wolle, das Ergebnis der Vergiftungsversuche macht auch hier allen Zweifeln ein Ende. Werden die epidermalen Drüsenzellen getödtet, so unterbleibt die Wasserausscheidung gänzlich.

In der grossen Gruppe der mit Wasserspalten und Epi- themen versehenen Hydathoden beruht nach den bisherigen Untersuchungen blos bei den Conocephalus-Arten, bei Ficus sp. und wahrscheinlich auch bei anderen Moraceen und Urti-

Das tropische Laubblatt. 109

caceen die Wasserausscheidung auf activer Thätigkeit des Epithemgewebes, welches hier eine »innere Wasserdrüse« vor- stellt. Bei Fuchsia dagegen, an welche sich zweifellos zahlreiche andere Pflanzen anschliessen, ist die Wasserausscheidung seitens der Hydathoden ein einfacher Filtrationsprocess. Das "Wasser wird durch den im Wasserleitungssystem herrschenden Blutungsdruck direct in die Intercellularen des Epithemgewebes getrieben und filtrirt durch die Wasserspalten nach aussen. Das Epithemgewebe hat in diesen Fällen wahrscheinlich nur die Aufgabe, ein System von englumigen Intercellularen her- zustellen, aus welchen das Wasser nicht so rasch durch Ver- dampfung entweichen kann. Bei Fuchsia, wo den Epithemen eine vom Wurzeldruck unabhängige, allerdings nur gering- fügige Fähigkeit der Wassersecretion zukommt, hat dieselbe wahrscheinlich die Aufgabe, das Intercellularsystem der Epi- theme behufs Abschlusses der trachealen Leitungsbahnen dauernd mit Wasser gefüllt zu erhalten. Bei Conocephalus hat diese anfänglich nur unbedeutende und auf einen Nebenzweck abzielende Fähigkeit zu activer Wassersecretion eine solche Steigerung erfahren, dass sie allein es ist, durch welche nun- mehr die Wasserausscheidung dieser Pflanzen zu Stande kommt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass künftige Unter- suchungen verschiedene physiologische Übergangstypen zwi- schen dem Fuchsia- und dem Conocephalus-Typus aufdecken werden, bei welchen die Wasserausscheidung zum Theil noch auf einfacher Druckfiltration, zum Theile bereits auf activer Wasserauspressung seitens der Epitheme beruht.

Die einfachsten und zugleich unvollkommensten Hyda- thoden (wenn wir von Rissen in der Epidermis etc. absehen) sind dadurch gekennzeichnet, dass die Tracheidenenden direct an das Intercellularsystem des Blattparenchyms grenzen, in das nun das Wasser durch den Wurzeldruck hineingepresst wird, um schliesslich durch Wasserspalten nach aussen zu treten. Dieser Typus tritt an der Spitze des Scheidenblattes und der ersten Laubblätter verschiedener Graskeimlinge auf; auch die Fiederblattspitzen von Vicia sepium sind im Allgemeinen nach diesem Typus gebaut, obgleich sich hier schon ein rudimentäres Epithemgewebe zu differenziren beginnt.

110 G. Haberlandt,

In activ thätigen Hydathoden wird das Wasser einseitig aus den Zellen hervorgepresst. Es liegen hier also in Bezug auf das Zustandekommen des Phänomens dieselben Möglichkeiten vor, wie bei derEntstehung desBlutungsdruckes.!Da dieHydathoden, wie es ihrer biologischen Bedeutung entspricht, nur dann functio- niren, wenn der hydrostatische Druck im Wasserleitungs- system eine bestimmte Höhe erreicht hat, so muss angenommen werden, dass sie für diese Drucksteigerung empfindlich sind; dieselbe wird von den Hydathoden als Reiz percipirt, worauf dann die Wasserausscheidung erfolgt. Diese Annahme hat nichts Befremdendes an sich, wenn wir an die Schweissdrüsen des thierischen Organismus denken, deren Thätigkeit nur indirect vom Blutdruck abhängig ist, hingegen unter dem unmittelbaren Einfluss nervöser Erregung steht.

Wie wir im I. Theile dieser Abhandlung gesehen haben, sind bei verschiedenen Pflanzen die epidermalen Hydathoden im Stande, nach zu starker Transpiration von aussen (bei Regen- und Thaufall) dargebotenes Wasser in mehr oder minder reichlicher Menge aufzusaugen und dem übrigen Theil des Blattes zuzuführen. Durch das Sinken des Turgors im Blatt- parenchym wird eine osmotische Betriebskraft geschaffen, welche mit dem Welken der Blätter dem vollen Werthe der Turgorkraft gleichkommen kann.” Durch diese osmotische Saug- kraft wird von aussen dargebotenes Wasser, wenn die Epider- mis permeable Eintrittsstellen aufweist, gerade so eingesogen werden, wie es bei geringerer. Transpiration dem gefüllten Wasserleitungssysteme entnommen wird. Die Hydathoden brauchen also in diesem Falle blos als leicht permeable Durch- lassstellen zu fungiren, eine specifische Thätigkeit als wasserabsorbirende Organe haben sie dabei nicht unbedingt zu entfalten. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass in ge- wissen Fällen die Protoplasten der Hydathoden .auch in Bezug auf die Wasseraufsaugung activ thätig sind und bei der Weiter- beförderung des absorbirten Wassers wie Pumpen wirken. Dies

1 Vgl. Pfeffer, Pflanzenphysiologie; I. Bd. S. 171, ferner: Studien zur Energetik der Pflanze. Abhandlung der sächs. Gesellschaft der Wissenschaften; XVII. Bd., S. 265 ff.

2 Vgl. Pfeffer, Energetik, S. 260.

Das tropische Laubblatt. 111

dürfte speciell für die ausschliesslich wasseraufsaugenden Haare zutreffend sein, mit welchen uns namentlich die schönen Untersuchungen A. F.W. Schimper’s und Volkens’ bekannt gemacht haben. Der auffallende Plasmareichthum bestimmter Zellen dieser Haare dürfte mit solcher Activität im Zusammen- hang stehen.

Gehen wir jetzt zur biologischen Bedeutung der Hydathoden über, so liegt ihr Nutzen für die Pflanze auf der Hand. Sie sind wichtige Regulatoren des Wassergehaltes, respective Turgescenzzustandes der Blätter und überhaupt der ganzen Pflanze. Sie verhüten bei beträchtlicher Steigerung des Wurzel- und überhaupt des Blutungsdruckes die drohende In- jeetion der Durchlüftungsräume mit Wasser, welche zwar nicht direct schädlich zu sein scheint, wohl aber aus leicht erklär- lichen Gründen die Assimilation in hohem Grade beein- trächtigen muss. Wenn an jedem Morgen erst das in den Inter- cellularen des Chlorophyliparenchyms enthaltene Wasser ver- dampfen müsste, bevor der Assimilationsgaswechsel unge- hindert von statten gehen könnte, so würde täglich ein ansehn- licher Bruchtheil der hellen Tagesstunden für die Assimilation so gut wie verloren gehen.

Auch noch in anderer Weise sind die Hydathoden für die gesammte Ernährungsthätigkeit der Pflanzen, welche in feuchten Klimaten zu Hause sind, förderlich. Meine ursprüngliche Ver- muthung, dass die Hydathoden als Wasser activ heraus- pressende Organe die bedeutend verringerte, ja stundenlange ganz sistirte Transpiration in ihrer saugenden Wirkung er- setzen respective ergänzen, eine raschere Wasserströmung veranlassen und so eine schnellere Zufuhr der im Wasser ge- lösten Nährstoffe bewirken könnten, hat sich allerdings in dieser Fassung nicht bestätigt. Denn auch die activ thätigen Hyda- thoden beginnen erst dann zu functioniren, wenn in die trache- alen Leitungsbahnen Wasser eingepresst wird und hier unter einem gewissen Druck steht. Die Hydathoden sind also für sich allein nicht im Stande eine den Transpirationsstrom ersetzende Wasserströmung zu erzielen, wohl aber ermöglichen sie durch die Ausscheidung des in die Blätter eingepressten Wassers eine Wasserströmung, für welche der Wurzel- respective Blutungs-

12 G. Haberlandt,

druck die Betriebskraft abgibt. Ein grosser Theil der auf diese Weise mitgerissenen mineralischen Nährstoffe bleibt dabei offenbar in der Pflanze zurück, wie aus dem so geringen Aschengehalte der ausgeschiedenen Flüssigkeit hervorgeht. Die Hydathoden sind demnach nur indirect an dem Zustande- kommen einer Wasserströmung durch die Pflanze bei aufge- hobener Transpiration betheiligt, doch sind sie dabei ein wesent- licher Factor und mithin von nicht zu unterschätzender Be- deutung für die Ernährung.

Epidermale Hydathoden scheinen hauptsächlich bei Pflanzen, die in feuchtem Tropenklima zu Hause sind, vorzu- kommen. Da so empfindliche Organe bei oberflächlicher Lagerung leicht verschiedenartigen Schädigungen ausgesetzt sind, welche durch grosse Lufttrockenheit, raschen Temperatur- wechsel etc. verursacht werden, so ist von vorneherein zu er- warten, dass diese Gruppe von Hydathoden bei unseren ein- heimischen Gewächsen nicht eben häufig zu finden sein wird. Am ehesten wird man sie bei Pflanzen feuchter Standorte er- warten dürfen. Unserem Klima sind die mit Wasserspalten ver- sehenen Hydathoden am besten angepasst.

Bei verschiedenen Pflanzen sind die Hydathoden zu speciellen Leistungen herangezogen worden, oder sie haben sich in Organe von anderer Function umgewandelt. Ersteres ist z. B. der Fall bei den »Wasserkelchen« von Spathodea campanulata, wo die zahlreichen Hydathoden auf der Innen- seite des sackartigen Kelches die Flüssigkeit aussondern, in welcher sich die Entwickelung der Blumen- und Geschlechts- blätter vollzieht. Ferner gehören hieher die kalkausscheidenden Hydathoden der Saxifragen und Plumbagineen. Ein wirklicher Functionswechsel ist dagegen eingetreten, wenn die Hyda- thoden zu Digestionsdrüsen wurden, wie zZ. B. bei Pinguicula und Nepenthes, oder wenn sie sich in extranuptiale Nektarien umwandelten, wie bei Vicia.

Das Schwergewicht dieser Abhandlung liegt in dem Nach- weise, dass im Pflanzenreiche verschiedene Typen von wasser- ausscheidenden Organen vorkommen, welche das Wasser nicht auf dem Wege rein mechanischer Filtration durch sich hin- durchtreten lassen, sondern die dasselbe vielmehr activ

Das tropische Laubblatt. 01

auspressen und sich auf diese Weise als »Wasserdrüsen« kenn- zeichnen. Die Analogie dieser Organe mit gewissen Drüsen des thierischen Organismus, vor Allem den Schweissdrüsen, ist un- verkennbar. Auch bei der Thätigkeit dieser Organe handelt es sich nicht um einen durch den Blutdruck verursachten Fil- trationsprocess. »Das Schwitzen ist vielmehr eine echte Secre- tion, die Thätigkeit der Drüsenzellen eine directe Function nervöser Erregung.«! Auch mit der Function der Nieren besteht insoferne eine Analogie, als durch dieselben neben den speci- fischen Harnbestandtheilen auch Wasser ausgeschieden wird. Naeh den Arbeiten Ludwig’s und seiner Schüler schien sich diese Wasserabsonderung als ein durch den »Blutdruck hergestellter mechanischer Filtrationsvorgang zu charakteri- siren.«? Dieser früher allgemein getheilten Auffassung gegen- über machte Heidenhain eine Reihe von Einwänden geltend und begründete seine eigene Auffassung von der Activität der am Aufbau der Niere betheiligten Secretzellen in ausführlicher Weise. Er formulirt seine Auffassung mit den Worten: »Wie in allen übrigen Drüsen, so beruht auch in der Niere die Ab- sonderung auf einer activen Thätigkeit besonderer Secretions- zellen. Als solche fungiren erstens die in einfacher Lage die Gefässschlingen des Malphighi’schen Knäuels überdeckenden Zellen, welche die Aufgabe haben, Wasser und diejenigen Salze des Harns abzusondern, welche überall im Organismus die Begleiter des Wassers sind.« (Diese Zellen sind also die Ana- loga der Secretzellen bei den activ thätigen Hydathoden). »Ein anderes System von Secretionszellen .... dient der Abson- derung der specifischen Harnbestandtheile.«

Wir sehen also, dass auf dem Gebiete der Wasseraus- scheidung im Thier- und Pflanzenreiche in zahlreichen Fällen eine weitgehende physiologische Übereinstimmung herrscht.

I B. Luchsinger, Die Schweissabsonderung und einige verwandte Seceretionen bei Thieren, im Handbuch der Physiologie von Hermann; V. Bd., I. Theil, Leipzig 1893, S. 421.

2 R. Heidenhain, Handbuch der Physiologie der Absonderung und Aufsaugung, im Handbuch der Physiologie von Hermann; V. Bd., I. Theil S. 318 ff.

[0]

Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CIV. Bd., Abth I.

114

G. Haberlandt,

Erklärung der Abbildungen.

Tafel 1.

(Sämmtliche Figuren dieser Tafel beziehen sich auf Conocephalus ovatus.)

Fig.

1 2 9. Bar 6) 6 7

Querschnitt durch eine Epithem-Hydathode mit Wasserspalten. Einige Zellen des Epithems.

Wasserspalte von oben gesehen V. 830.

Wasserspalten in der Querschnitts-Ansicht V. 330.

Gruppe von Colleteren über einem Gefässbündel.

Ausgebildete Adventiv-Hydathode über einem Gefässbündel.

In Entwickelung begriffene Adventiv-Hydathode. Die Zellen der Leit- parenchymscheiden wachsen zu Schläuchen aus. Diese und die vor- hergehende Figur wurden nach Präparaten aus lebendem Material gezeichnet.

Basaler Theil einer Adventiv-Hydathode Die Schläuche gehen aus Palissadenzellen hervor.

Basaler Theil einer älteren Adventiv-Hydathode. Die Schläuche gehen aus Wassergewebs- und Palissadenzellen hervor. Beginn der Wund- korkbildung. &

. Wassergewebsblase der Blattunterseite nach dem Absterben der Ad-

ventiv-Hydathoden.

11. Beginn der Blasenentwicklung in der Nähe der Spaltöffnungen. . Basale Partie einer grösseren Wassergewebsblase.

Tafel IT.

Ausnahme von Fig. 1 beziehen sich sämmtliche Figuren auf Fuchsia

s.&. g. 7 und 8. Eine spindel- und eine schlauchförmige Epithemzelle mit ihren

s 10).

il,

globosa.) Querschnitt durch eine Epithem-Hydathode von Ficus elastica V. 140. Theil eines Längsschnittes durch einen Blattzahn von Fuchsia globosa . Assimilationsgewebe grau, Parenchymscheide mittelst X X markirt. Epithemzellen im Querschnitt. V. 600. a

g. Zund 9. Tracheidenenden im Epithemgewebe, an Intercellularen grenzend.

V. 600. Tracheidenende, querdurchschnitten. V. 690.

Protoplasten.

Theil eines Querschnittes durch ein Gefässbündelende, wo dasselbe birnförmig anzuschwellen beginnt. Das Leptom ist bereits zu einem bandförmigen Streifen redueirt.

Endigung des Leptoms im Blattzahn. s letzte Siebröhrenglieder, g Ge- leitzellen, c Cambiformzellen (?), darüber noch einige grosskernige Übergangszellen.

Längsschnitt durch die Spitze eines ganz jungen Blattes; die Hyda- thode befindet sich noch im meristematischen Zustande.

Das tropische Laubblatt. ERS

Tafel III.

1. Querschnitt durch die Fiederblattspitze von Vicia sepium mit einer Wasserspalte. Chlorophyligehalt schematisch angedeutet.

[8%]

und 3. Typische Wasserspalten an der Spitze des ersten Laubblattes einer Keimpflanze von Secale cereale. V. 560.

. 4. Mittelform zwischen typischen Wasser- und Luftspalten derselben

Pflanze. V. 510.

9. Querschnitt durch eine Wasserspalte der Laubblattspitze von Secale cereale. N. 400. 6. Wasserspalten an der Spitze des Scheidenblattes von Secale cereale.

V. 330. Querschnitt durch eine solche Wasserspalte. V. 1100.

—l

$. 8. Querschnitt durch die Endigung eines lateralen Gefässbündels in

der Laubblattspitze eines Keimlings von Scecale cereale. Die grosse Speichertracheide ? grenzt direct an Intercellularen. V. 580.

(do)

Theil eines Querschnittes durch die Spitze des ersten Laubblattes eines Keimlings von Triticum vulgare. Die Speichertracheide # des Gefässbündelendes grenzt stellenweise direct an Intercellularen. V. 440.

.10. Wasserspalte an der Spitze des Scheidenblattes von Zea Mais. g. 11. Mittelform zwischen typischer Wasser- und Luftspalte am Scheiden-

blatt von Zea Mais.

g.12. Tracheidenenden in der Spitze des Scheidenblattes von Zea Mais;

Querschnittsansicht.

g.13. Desgleichen von Avena sativa. Die Tracheidenenden grenzen direct an

Intercellularen. Tafel IV.

1. Querschnitt durch ein randständiges Bündelende des Laubblattes von Polypodium aureum. Die das Bündelende bedeckende epidermale Zell- lage ist als wasserausscheidendes Drüsengewebe entwickelt. V. 280.

. 2. Theil eines Längsschnittes durch ein solches Bündelende. Kerntinction

mit Borax-Carmin. V. 280.

. 3. Köpfchenförmige Hydathode der Blattunterseite von Pingnicnla vnl-

garıs.

. 4. Sitzende Digestionsdrüse der Blattoberseife von Pingnicula vulgaris. ig. 5. Hydathode von P. vulgaris, im lebenden Zustande von oben gesehen. . 6 und 7. Einzelne Zellen der Hydathode von oben gesehen, nach Fixirung

und Färbung mit Methylgrün-Essigsäure. Fig. 7 bei höherer Einstellung, so dass der Kern nicht sichtbar ist.

,. 8. Einzelne Zelle einer Digestionsdrüse von oben gesehen, nach Behand-

lung mit Methylgrün-Essigsäure.

. 9. Einzelne Zelle einer gestielten Drüse der Blattoberseite von P. vulgaris;

Ansicht und Behandlung wie vorhin.

.. 10. Schuppenhaar auf der Unterseite der Blattspreite von Nepenthes

destillaloria.

116 G. Haberlandt, Das tropische Laubblatt.

Fig. 11. Ein solches von oben gesehen.

Fig. 12. Sternförmiges Haar der Blattspreite von Nepenthes gracilis von oben gesehen.

Fig. 13. Längsschnitt durch einen Blattzahn von Primula sinensis. Das Epithem des Bündelendes mit Borax-Carmin tingirt.

Fig. 14. Theil eines Querschnittes durch ein Laubblatt von Tropaeolum majus, um den Übergang vom Assimilations- zum Epithemgewebe und die damit verbundene Grössenzunahme der Zellkerne zu zeigen. Färbung mit Borax-Carmin.

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10187

Die Myriopoden Steiermarks von Dr. Carl Graf Attems.

(Mit 7 Tafeln.)

(Vorgelegt in der Sitzung am 13. December 1894.)

In vorliegender Arbeit habe ich versucht ein Bild der Myriopodenfauna Steiermarks und seiner Nachbarländer, ins- besondere Niederösterreichs zu geben. Die Bearbeitung des während mehrerer Jahre gesammelten Materiales wurde sehr erleichtert dadurch, dass Prof. Latzel mir des Öfteren Ver- gleichsmaterial aus seiner reichhaltigen Sammlung schickte und dass ich die Sammlungen des k. k. Hofmuseums und des zoologischen Institutes in Wien benutzen konnte. Ich sage daher den Herren Hofrath Claus, Custos Koelbl und Prof. Latzel auch hier meinen besten Dank.

Ich sammelte in Steiermark, Niederösterreich und einem Theile Westungarns, besonders aber in der weiteren Umgebung von Graz, und glaube für letzteren Ort eine ziemlich vollständige Liste der vorkommenden Arten beisammen zu haben,! während sich in den anderen Theilen des Landes und in Niederösterreich noch manches finden wird.

Wir sind heute noch weit davon entfernt, ein vollständiges Bild von der Vertheilung der Myriopoden in Mitteleuropa zu haben. Nicht nur, dass es gar nicht lange her ist, dass das Chaos

1 Speciell die nähere Umgebung von Graz ist sehr reich an Myriopoden. Ich fand hier 81 Arten, in unserem Garten (Leechwald) allein 49 (also 2 mehr als in ganz Scandinavien bisher entdeckt wurden). Auch sind die einzelnen Arten hier meist in sehr vielen Individuen vertreten; man kann deren mehrere Hundert in wenigen Stunden erbeuten.

118 Gr ArtLremS,

in der Systematik gelichtet wurde, was für unsere Gegemien besonders durch das hier viel citirte prächtige Werk Latzel’s über die Myriopoden Österreich-Ungarns geschehen ist, ist auch die Verbreitung der längs gekannten Arten noch lange nicht festgestellt. Um eine vollständige Liste der Arten einer Gegend zu erhalten, muss man durch mehrere Jahre hindurch zu jeder Jahreszeit an den verschiedenartigsten Localitäten sammeln, und an wie vielen Punkten ist das wohl bisher geschehen? Arten, die in einem Jahr in einem weiten Gebiet anscheinend ganz fehlen, weil sie nur in minimaler Zahl vorhanden sind, treten das nächste Jahr an denselben Orten in grosser Zahl auf (z. B. Julus molybdinus) und umgekehrt. Auch entgehen einem gewisse Arten zu manchen Jahreszeiten ganz, während sie, wenn ihre Saison gekommen ist, regelmässig zu finden sind. Letzteres gilt besonders für die bei uns recht häufigen Chordeumiden, die man jedoch nur im Herbste regelmässig und zahlreich findet.

Unsere bisherigen Kenntnisse der steirischen Myriopoden- fauna beschränken sich auf die Angaben, die Latzel in seinem Werke darüber macht. Er führt darin 54 Arten aus unserem Kronlande auf; von weiteren Publicationen speciell über Steier- mark ist seither nur eine Beschreibung zweier /ulus-Arten von Verhoeff im zoolog. Anzeiger 1894, Nr. 456 erschienen. Eine derselben dürfte mit einer bereits von Latzel beschriebenen identisch sein. Auch für die Länder Niederösterreich, Ober- österreich, Salzburg und Krain sind wir auf das genannte Werk angewiesen.Eine etwas erweiterteListe der Kärntner Myriopoden gab Latzel im Jahresbericht des Klagenfurter Gymnasiums für 1894, worin er 83 Arten namhaft macht mit zahlreichen Fundortsangaben, glaubt aber, dass diese Zahl sich auf etwa 100 erhöhen wird.

Für Westungarn (worunter ich hier immer den an Nieder- österreich und Steiermark angrenzenden, durch die Donau im Norden und Osten begrenzten Theil Ungarns verstehe) und Croatien haben wir ausser den Angaben Latzel’s noch die ziemlich spärlichen Notizen Daday’s in seinen Myriopoda Regni Hungariae. Beide zusammen geben für Croatien 43, für Westungarn 62, für Croatien und Westungarn 72 Arten an, welche Zahl ich auf 77 erhöhte. Latzel citirt aus Niederöster-

B

Die Myriopoden Steiermarks. IS)

reich 66, aus Oberösterreich 50, aus Salzburg 41 und aus Krain 87 Arten. Das wäre Alles, was aus der Literatur vorliegt. Wir sehen schon aus denZahlen, dass eigentlich nur Kärnten von den Nachbarländern Steiermarks halbwegs gut in dieser Beziehung gekannt ist, und dass wir daraus, dass eine Art in diesen Ländern nicht gefunden wurde, noch lange nicht schliessen dürfen, dass sie daselbst auch nicht vorkommt, viel eher umgekehrt können wir hoffen, dass die Arten der Nachbargebiete sich über kurz oder lang auch bei uns finden werden, daher führte ich auch alle zwar nicht in Steiermark, wohl aber in den angrenzenden Ländern lebenden Arten namentlich auf, um auf sie als wahr- scheinliche Mitglieder unserer Fauna hinzuweisen.

Aus dem ganzen Gebiet Steiermark, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Kärnten, Krain, Croatien und West- ungarn sind mir bis jetzt 132 Arten bekannt, davon 97 aus Steiermark, !

Von denselben sind 2 Genera, 11 Arten und 5 Varietäten neu für die Wissenschaft. Nämlich: Orinomus oligopus nov. gen., nov. Sp., Zrachysoma capito nov. gen., nov. sp., Geophilus insculptus n. sp., Schendyla montana n. sp. Eurypauropus hastatus n. sp. Craspedosoma simile n. sp., Atractosoma_ ela- phron n. sp., Atractosoma triaina n. sp., Chordeuma graecense n. Sp., /ulus eurypus n. sp., Julus marmoratus n.sp., Lithobius pygmaeus Latzel, var. styriaca mihi, Geophilus flavidus Koch, var. styriaca m., Polydesmus edentulus Koch, var. spelaea m., Polydesmus collaris Koch, var. Rannensis m., Isobates vari- cornis Meng., var. denticulata m. Vier davon (Geoph. insculptus, Schend. montana, Atractosoma elaphron und A. triaina) leben auch in Niederösterreich.

Steiermark ist vom faunistischen Standpunkt aus natürlich durchaus kein einheitliches Gebiet; ganz im Gegentheil. Während der gebirgige obere Theil ganz die Fauna der angrenzenden anderen Alpenländer hat, kommen im Süden des Landes bis etwa zur Drau mehrere Formen vor, die eigentlich mehr zur mediterranen Fauna gehören. Bemerkenswerth ist die grosse Zahl der Chordeumiden, die wir haben (bis jetzt 19). Diese Thiere lieben eben bergige und waldige feuchte Gegenden, wie Steier- mark sie vielfach besitzt.

120 C. Attems,

Verhältniss seiner Fauna zu anderen Ländern.

Von den 85 Arten Niederösterreichs (66 sind durch Latzel bekannt und weitere 19 fand ich selbst oder sah sie im Hof- museum) kommen 73 auch in Steiermark vor; also 12 nicht. Von diesen 12 sind Scutigera coleoptrata, Cryptops anomolans, Scotophilus illyriens und Dignathodon microcephalum mehr südliche Formen, die sich auch in Westungarn finden, und deren Besitz Niederösterreich, respective das Wiener Becken wohl seiner Verbindung mit der ungarischen Ebene verdankt. Sie haben sich eben aus dem Süden längs des Ostrandes der Alpen hinauf durch das warme ungarische Hügelland bis in das Wiener Becken gezogen, zwei davon, Scutigera coleoptrata und Scotophilus illyricuns wurden ganz vereinzelt noch weiter nörd- lich in Schlesien gefunden, nach Steiermark ist keine herein- gekommen. Ähnlich ist es bei Geophilus flavidus. Auch er geht in den österreichischen Alpen nur in den südlichen Theil der- selben, Tirol, Kärnten, Krain, Küstenland, in Steiermark bis etwa zu den Windischen Büheln, dagegen ist er von Ungarn über die Wiener Gegend bis nach Böhmen und Preussisch-Schlesien gewandert, in letzterem Lande allerdings sehr selten.

Entgegengesetzt diesen findet Julus ligulifer seine Süd- grenze am Nordrande der Alpen; bei Wien gar nicht selten, ist er in Obersteiermark jenseits der Alpen bereits nicht mehr zu finden, während er in Ungarn weiter südlich reicht. Glomeris pustulata, Brachydesmus superus, Chordeuma silvestre und Inulus pusillus haben eine solche Verbreitung, dass ihre Consta- tirungin Steiermark wohl nur eine Frage der Zeit ist. Blaninlus gnttulatus wurde in den eigentlichen Alpenländern bisher nicht gefunden. Eurypauropus ornatus und cycliger endlich sind die 11. und 12. nicht steirische Art Niederösterreichs, über deren Verbreitung wir noch wenig wissen.

Von den 83 Kärntner Myriopoden Arten Shndl 7O zugleich Steirer. Von den übrigen 13 werden sieh wie schen früher erwähnt Glomeris pustulata und Chordeuma silvestre, wahr- scheinlich auch Lithobius pusillus, Glomeris ornata, Poly- desmus rangifer und die Pauropoden Brachypauropus hamiger, Eurypauropus cycliger, E. spinosus in Steiermark entdecken

Die Myriopoden Steiermarks. 1231

lassen. Somit bleiben nur 5 Arten, nämlich Zithobius audax, Scotophilus illyricus, Iulus trilineatus und fuscipes, alle 4 Arten mehr südlich, und Polydesmus noricus als entschiedene Unter- schiede beider Faunen.

Westungarn und Croatien haben von 77 Arten 59 mit Steiermark gemeinsam, von den 18 anderen sind 12 mehr oder weniger zu den südlichen Formen zu zählen, über deren Pro- venienz oben gesprochen wurde, nämlich Scutigera coleoptrata Lithobius tennipes, L. audax, Scolopendra cingulata, Cryptops amomolans, Geophilus mediterraneus, Schendyla eximia, Scotophilus illyricus, Sc. bicarinatus, Dignathodon microce- phalum, Iulus trilineatus, I. fuscipes. Über Iulus ligulifer wurde bereits gesprochen, ebenso über Glomeris pustulata, Brachydesmus superus, Chordeuma silvestre, Iulus pusillus; Brachydesmus troglobius, die 18. ist eine neue Art. Diese beiden Länder sind also von den Nachbarländern Steiermarks am meisten verschieden in ihrer Fauna.

Die 41. Salzburger Myriopodenarten kommen alle in Steier- mark vor, von den 50 oberösterreichischen alle bis auf Glomeris pustulata und Inlus ligulifer.

Aus Krain, das sicherlich eine ausserordentlich reiche Myriopodenfauna besitzt, sind erst .57 Arten bekannt, von denen 10 nicht in Steiermark gefunden wurden: die Grotten- bewohner Lithobins stygins, Craspedosoma stygium, Scotherpes troglodytes, die mehr südlichen Lithobius audax, Inlus trili- meatus und fuscipes und das halb verschollene Craspedosoma ciliatum, ferner Lithobius pusillus, Glomeris ormata und Poly- desmus rangifer.

Werfen wir jetzt noch einen Blick auf etwas entferntere Länder.

Es ist eine bekannte Thatsache, dass der Reichthum an Arthropoden nach Süden sehr zunimmt. Wie sehr aber die Entfaltung der Myriopodenfauna mit der Wärme der südlichen Länder und mit der Feuchtigkeit der Alpen wächst, und wie nahe Steiermark bereits der Mediterranfauna liegt, ohne zu ihr zu gehören, davon gibt nachfolgende kleine Tabelle ein gutes Beispiel.

22 C. Attems,

Zahl der vor- Davon sind in Steiermark kommenden :

Arten ı gefunden nicht gefunden Preussisch-Schlesien. 66 93 13 d.i. 200%/, der Fauna | Schlesiens | Scandinavien....... 47 29 18 d.i. 370], der Fauna | | Scandinaviens | RO en Be de 108 64 44 d.i. 40